Die Principessa
Stein gerne annehmen, und vielleicht hätte ich ihn damals nicht verweigern sollen, als Sie ihn mir schon einmal schenken wollten … Aber hier, an diesem Ort, an diesem Tag … Nein, unmöglich, es geht nicht. Es wäre« – sie zögerte einen Moment, bevor sie das Wort aussprach, während sie ihren Blick senkte –, »ja, es wäre Verrat.«
26
Ein Hahnenschrei kündigte vom Anbruch des neuen Tages, als Francesco Borromini das Haus verließ. Die ganze Nacht hatte er keinen Schlaf gefunden, sich stundenlang auf dem Bett hin und her geworfen, von Fieberträumen gepeinigt. Jetzt hielt er es nicht länger aus – er musste sich Gewissheit verschaffen.
Im fahlen Licht des anbrechenden Tages schleppte er sich durch die Gassen, den Hut ins Gesicht gezogen, als fürchte er, auf seinem Weg erkannt zu werden. Ob Gott ihm zusah? Zwischen den alten, krummen Häusern staute sich die Hitze des vergangenen Tages, die Nacht hatte wenig Abkühlung gebracht. Die meisten Fensterläden und Türen waren geschlossen, nur auseiner Backstube drangen schon Stimmen auf die Straße. Es roch nach frischem Brot und Urin.
Er war vielleicht eine Viertelstunde gegangen, da erblickte er vor sich sein Ziel: Wie ein Schneegebirge ragte der Petersdom in den grauen Himmel empor. Ein kühler Morgenwind, fast nur ein Hauch, strich über den Boden. Menschenleer lag die Piazza da, allein die Abfälle, von denen das Pflaster übersät war, zeugten von den Massen, die hier am Tag zuvor das Fest der Einweihung gefeiert hatten.
Als Francesco durch die weite Öffnung trat, zog er sich den Hut noch tiefer ins Gesicht. Hatte er Angst zu sehen, was zu sehen er gekommen war? Er wusste, das Wesen eines Platzes erschloss sich nur aus seinem Innern, aus seinem Zentrum heraus. Zehn Jahre, seit Beginn der Bauarbeiten, hatte er Sankt Peter gemieden, täglich gequält von der einen alles entscheidenden Frage: Wie hatte sein Rivale diese unermessliche Größe, diesen grenzenlosen Raum gestaltet? Jetzt, nach zehn Jahren der Ungewissheit, wollte er sich nicht in den letzten Minuten zum Sklaven seiner Ungeduld machen.
Es kostete ihn fast übermenschliche Kraft, seinen Augendurst zu bezähmen. Den Blick fest auf den Boden gerichtet, überquerte Francesco den Platz, immer an den weißen, in das Pflaster eingelassenen Marmorstreifen entlang. Laut hallten seine Schritte in der Morgenstille wider, während ihn das unwirkliche Gefühl beschlich, er betrete vertrauten Boden. Es war, als wandle er durch einen Traum, den er selbst schon unzählige Male geträumt hatte.
In der Mitte des riesigen Ovals, unweit des Obelisken, blieb er stehen. Die Einsamkeit wehte ihn an wie der Atem des Universums. Fröstelnd schloss er die Augen. Er holte tief Luft, dann drehte er sich um und hob den Blick.
Es war wie eine Offenbarung, und die Augen liefen ihm über, so herrlich war die Pracht, die sich vor ihm auftat. Vor einem blassrosa Himmel, der im Osten den baldigen Aufgang der Sonne ankündigte, erhoben sich die Kolonnaden, dunkel und groß wiezwei starke, mächtige Arme, die den ganzen Erdkreis umfingen. Bekrönt von der Heerschar der Heiligen, die wie eine Armee über dem Säulenrund Wache hielten, steinerne Schutzpatrone des ewigen Glaubens, bewehrten die Flügelbauten in kolossaler Wucht den Platz, und kein Übel der Welt konnte sie je überwinden.
Francesco trank den Anblick in gierigen Zügen, als wäre ihm das Augenlicht erst in dieser Stunde geschenkt worden. Sein Herz stand still, sein Atem stockte: Genau so hatte er den Platz immer vor sich gesehen: der herrlichste Platz, den die Menschheit je geschaut hatte, ein Wunderwerk aus mathematischem Kalkül und künstlerischer Imagination. Alles hatte eine Bedeutung, jeder Stein, jeder Pilaster war ein Buchstabe in diesem gigantischen Alphabet.
Das war
seine
Piazza!
Sein
Traum in Stein und Marmor!
Die Erkenntnis traf Francesco wie ein Faustschlag Gottes. Was ging hier vor? Wie konnte das sein? Betäubt ließ er seinen Blick über die Anlage schweifen, um ihren Grundriss zu erfassen, spürte mit den Augen seinen eigenen Gedanken in den Steinen nach, schaute wieder und wieder, als könne er nicht glauben, was er sah. Ja, ohne Zweifel, er erkannte sie wieder, seine Idee, den großartigen Einfall: eine Tasse mit zwei Henkeln, das Bild des Saturn, wie es ihm im Fernrohr der Principessa erschienen war. Nur der trapezförmige Platz in Richtung zur Domfassade wich von seinen Plänen ab – zusammen bildeten die beiden Plätze die Form eines
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