Die Principessa
gewaltige Zug zur Aufstellung kam und alle Würdenträger auf der Empore vor der Basilika ihre Plätze eingenommen hatten. Ein zweites Mal ertönten die Fanfaren, dann rief ein Offizier der Schweizergarde Lorenzo Bernini auf, Cavaliere di Gesù und Dombaumeister von Sankt Peter. Alle Stimmen verstummten, und auf der Piazza war es so still, dass man Berninis Stiefelschritte hörte, als er mit gezogenem Hut die Freitreppe des Doms hinaufstieg, um vor den Thron des Papstes zu treten. Auch Clarissa, die in der ersten Reihe der Ehrengäste den Einzug der Kavalkade verfolgt hatte, hielt den Atem an.
»Gott der Herr«, erhob der Papst seine Stimme, »hat zu seinem ersten Apostel gesagt: ›Du bist Petrus, und auf diesen Fels will ich meine Kirche bauen.‹ Mit deinem Werk, Lorenzo Bernini, hast du den Willen des Herrn erfüllt. Dieser Platz soll heute und für alle Zeit die Christenheit umschließen, um ihr Hort und Schutz zu sein wie die heilige Mutter Kirche, und die Pforten der Hölle sollen sie nicht überwinden.«
Wie ein Kaiser stand Lorenzo da, den Kopf erhoben, Auge in Auge mit dem Stellvertreter des Herrn. Er strahlte nicht, noch lächelte er – allein die Größe dieses Augenblicks spiegelte sich in seiner Miene wider: Stolz, Macht, Triumph.
Als Clarissa dieses Gesicht sah, holte ihr Gewissen sie ein wie der Zorn Gottes. Ihr Herz krampfte sich zusammen. Wie hatte sie tun können, was sie getan hatte? Mit jeder Regung ihrer Seele bereute sie, dass sie hierher gekommen war, um Lorenzos Triumph zu bezeugen, statt bei Francesco zu sein. Was tat er wohl in diesem Augenblick? Wo schleppte er sein krankes Herz herum? War er womöglich auch hier auf der Piazza? Unerkannt in derMenge, irgendein Mensch unter tausenden, während der Papst vor den Augen der ganzen Welt seinen Rivalen feierte, ihn auszeichnete vor allen Künstlern der Stadt und des Erdkreises, für ein Werk, das Francesco ersonnen hatte … Clarissa schauderte. Warum fuhr kein Blitz auf sie herab, um sie zu strafen?
Lorenzo beugte sich über die Hand des Papstes, um seinen Abschied zu nehmen. Immer noch war es so still, dass Clarissa das Gurren der Tauben hörte, doch als er die Stufen des Throns verließ, brauste ein Jubel auf und erhob sich über den Platz, als wollten die Römer es den himmlischen Heerscharen gleichtun. Der Boden, die Mauern erbebten von dem Sturmgebraus, die ganze Stadt, der ganze Erdkreis hallte wider von den Stimmen, die den Baumeister von Sankt Peter priesen.
Clarissa bekam eine Gänsehaut, mitgerissen von dieser gewaltigen Woge, welche die Menschen erfasste, als wolle sie alle Zweifel hinwegfegen. War dies nicht ein Zeichen? Borromini hatte ihr vor Jahren den Himmel gezeigt, in der Kuppel des Petersdoms; jetzt aber, in diesem Augenblick, umbraust vom Jubel all dieser Menschen, auf der Piazza derselben Kirche, ließ Gott sie spüren, wie es einst im Himmel sein würde, inmitten der himmlischen Heerscharen, vor dem Angesicht des Allmächtigen.
Überwältigt von ihren Gefühlen, schloss Clarissa die Augen. Wenn die Piazza die Menschen in solchen Jubel versetzte, konnte sie da falsch gehandelt haben?
Als sie die Augen aufschlug, stand vor ihr Bernini.
»Ich habe Ihnen von meiner Reise etwas mitgebracht«, sagte er, bevor sie sich von ihrer Überraschung erholen konnte, und reichte ihr eine Schatulle. »Bitte, das ist für Sie.«
Irritiert nahm sie das Geschenk entgegen.
»Worauf warten Sie, Principessa? Wollen Sie das Kästchen nicht öffnen?«
Als sie den Deckel aufmachte, blieb ihr das Herz stehen. »Aber das ist ja …« Auf dem schwarzen Samtbett funkelte ein walnussgroßer Smaragd: derselbe Edelstein, den sie ihm vor einem halben Leben im Auftrag ihres Königs übergeben hatte.
»Ich habe Jahre vergeblich nach ihm gesucht, überall, in ganz Rom. In Paris habe ich ihn schließlich gefunden, durch Zufall, bei einem Juwelier in der Nähe von Notre Dame.«
»Warum … warum tun Sie das?«
»Wissen Sie es nicht?« Er kniete vor ihr nieder, inmitten all der Menschen, in Gegenwart des Papstes und des Heiligen Kollegs, nahm ihre Hand und küsste sie. »Sie sind die einzige Frau, die ich je geliebt habe, in meinem ganzen Leben. Bitte, Principessa, nehmen Sie den Stein als mein Geschenk. Ich möchte Ihnen damit danken. Für alles, was Sie mir gegeben haben …«
»Für alles, was ich Ihnen gegeben habe?« Clarissa entzog ihm ihre Hand. »Nein«, sagte sie dann und gab ihm die Schatulle zurück. »Glauben Sie mir, ich würde den
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