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Die Principessa

Die Principessa

Titel: Die Principessa Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Prange
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trotzdem schauderte es ihn jedes Mal aufs Neue. Vorsichtig legte er sein Ohr an die Tür und lauschte.
    Sein Onkel stammelte jetzt nur noch einzelne, unzusammenhängende Worte. »Das Licht … Bring mir das Licht … Bitte … Du hast es versprochen … Ich muss doch schreiben …«
    Bernardo schob langsam den Riegel zurück, als es drinnen plötzlich still wurde. Mit angehaltenem Atem öffnete er die Tür. Nur noch ein leises Röcheln war zu hören. Er lugte durch den Spalt. Sein Onkel lag auf dem Bett und schlief.
    Gott sei Dank! Erleichtert schloss Bernardo die Tür und schob den Riegel wieder vor. Dann ging er die Stiege hinunter.
    In der Küche sah es aus wie nach einem Überfall. Tisch und Stühle waren umgestoßen, auf dem Boden lagen angesengte Manuskripte und Schriftrollen verstreut, im offenen Herd loderte ein mächtiges Feuer. Am späten Abend hatte sein Onkel überall im Haus nach seinen Papieren gesucht. Notizen, Zeichnungen, alles, was irgendwie von seiner Hand beschriftet war, hatte er in der Küche zusammengetragen, wie zu einem Scheiterhaufen, um alles Stück für Stück unter bösen Flüchen und Verwünschungen in den Herd zu werfen, dabei mit irren Blicken in die Flammen starrend, als spräche er mit dem Leibhaftigen.
    Bernardo griff nach einer angebrochenen Weinflasche im Regal, die wie durch ein Wunder die Verwüstung überlebt hatte. Vielleicht war der Spuk für diese Nacht vorbei. Er setzte die Flasche an die Lippen, doch noch während er trank, regten sich in ihm Zweifel. Und wenn sein Onkel wieder aufwachte und einen neuen Anfall bekam? Vielleicht hatte er ja gar keinen Herzhusten, wie der Arzt behauptete – vielleicht war er vom Teufel besessen. Das hatte die Nachbarin gesagt, und der Pfarrer, der auf der Gasse dabeigestanden hatte, hatte ihr nicht widersprochen.
    Bernardo spürte, wie die Angst ihm in den Nacken kroch. Wenn es wenigstens Weihwasser im Haus gäbe! Er trank noch einen Schluck Wein, doch es nützte nichts. Er brauchte Hilfe, er musste jemanden holen.
    Auf Zehenspitzen, um ja kein Geräusch zu machen, verließ er das Haus.

28
    Finsternis umfing Francesco, als er erwachte. Sein Schädel, sein ganzer Körper war fühllos, fast taub. Was war für ein Tag? Wie lange hatte er geschlafen? Langsam, zäh wie Leim löste sich die Erinnerung vom dunklen Grund seiner Seele. In ihm war nur eine dumpfe, unbestimmte Ahnung, dass er etwas erledigen musste, ein dringendes, wichtiges Geschäft.
    Mühsam wälzte er sich auf seinem Bett herum. Irgendwo zwitscherte ein erster Vogel, ein fahler Lichtschein fiel durch das kleine Fenster – ein neuer Tag brach an. Witternd hob er den Kopf. In der Luft hing ein brandiger Geruch.
    Plötzlich war die Erinnerung da und mit ihr das Entsetzen.
    »Bernardo!«, schrie er.
    Angestrengt lauschte er in die Stille hinein. Doch es kam keine Antwort. Wo war der Idiot? Sein Neffe war doch im Haus, warumantwortete er nicht? Francesco räusperte sich, tastete nach dem Spucknapf neben dem Bett.
    »Bernardo!«, brüllte er ein zweites Mal. »Bring mir Licht!«
    Er beugte sich über den Napf und spie hinein. Wo blieb der verstockte Mensch? Er musste sein Testament schreiben! Jetzt gleich – die Sache duldete keinen Aufschub! Draußen wurde das Vogelgezwitscher lauter. Hatte Bernardo zu viel Wein getrunken und schlief seinen Rausch aus? Er würde ihn verprügeln, sobald er ihn zu fassen bekam. Wütend wuchtete Francesco sich von der Bettstatt hoch, mit keuchendem Atem, stemmte seinen schweren Körper in die Höhe, dieses verfluchte, nutzlose Gebirge aus Fleisch und Knochen, das ihn zeit seines Lebens behindert und eingeengt hatte. Er tastete sich durch die Finsternis zur Tür, stolperte über einen Kasten und schlug mit der Hüfte gegen den Tisch.
    »Idiot! Wo bleibst du?«
    Der Schmerz in seiner Seite war so stark, dass bunte Lichter vor seinen Augen tanzten. Er hatte das Testament am Nachmittag begonnen, aber nur ein paar wenige Sätze geschafft – es war noch längst nicht fertig. Wie fremde, feindliche Wesen zeichneten sich die Möbel in dem dunklen Zimmer ab, während die Spatzen auf den Dächern immer aufgeregter tschilpten. Man hatte ihn vernichtet, zerstört, ausgelöscht. Jetzt war die Zeit der Abrechnung da! Er hatte getan, was er hatte tun müssen, hatte alle seine Pläne und Entwürfe verbrannt, wie es die Ehre und der Stolz und die Gerechtigkeit verlangten. Jetzt fehlte nur noch sein Testament. Darin würde er sie alle beim Namen nennen: die Diebe, die

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