Die Prinzen von Amber (5 Romane in einem Band)
abzuwehren. Ein heißes Bad, eine gute Mahlzeit, ein Bett wären mir jetzt sehr willkommen gewesen. Doch diese Dinge hatten hier oben fast etwas Mythisches. Es genügte mir im Augenblick, mich auszuruhen, meine Gedanken langsamer kreisen, sie wie Zuschauer über die Ereignisse des Tages gleiten zu lassen.
So viel war geschehen ... doch wenigstens hatte ich jetzt Antworten auf ein paar Fragen. Noch waren nicht alle beantwortet, doch mein Wissensdurst war zunächst gestillt ... Ich hatte jetzt eine Vorstellung davon, was während meiner Abwesenheit geschehen war, ein größeres Verständnis auch der Dinge, die im Augenblick geschahen, und eine Ahnung von einigen Dingen, die geschehen mußten, die ich tun mußte ... Ich spürte irgendwie auch, daß ich mehr wußte, als mir klar war, daß ich schon Puzzleteile besaß, die zu dem vor mir sich abzeichnenden Bild paßten, wenn ich sie nur genügend herumschob, umdrehte oder kreisen ließ. Das Tempo der neuesten Ereignisse, besonders des heutigen Tages, hatte mich keinen Augenblick lang zur Ruhe kommen lassen, so daß ich meine Gedanken nicht hatte sammeln können. Doch schon schienen sich einige dieser Stücke in seltsamem Winkel aneinanderzuneigen ...
Irgend etwas rührte sich über mir, ein seltsames Hellerwerden der Nachtluft lenkte mich ab. Ich wandte mich um, stand schließlich auf und betrachtete den Horizont. Ein erstes Schimmern machte sich über dem Meer bemerkbar, an dem Punkt, wo der Mond aufgehen würde. Während ich noch hinschaute, erschien ein winziger Lichtbogen. Zugleich hatten die Wolken ihre Position gewechselt, doch nicht so sehr, daß ich mir ernsthaft Sorgen machen mußte. Ich blickte nach oben, doch das große Himmelsphänomen hatte noch nicht begonnen. Trotzdem nahm ich meine Trümpfe zur Hand, blätterte sie durch und legte Benedicts Karte oben auf.
Die Lethargie war von mir gewichen, und ich verfolgte, wie sich der Mond über dem Wasser ausbreitete und plötzlich eine Lichtbahn über die Wellen warf. Hoch über mir, am Rande meines Blickfelds, schwebte plötzlich ein vager Umriß. Als das Licht zunahm, betonte da und dort ein Funken die Konturen. Die ersten Linien, schwach wie Spinnweben, erschienen über dem Gestein. Ich betrachtete Benedicts Karte, strebte nach Kontakt ...
Das Bild belebte sich. Ich sah ihn im Saal des Musters stehen, in der Mitte der Linien. Eine helle Lampe schimmerte neben seinem linken Fuß. Er spürte meine Gegenwart.
»Corwin«, sagte er. »Ist es soweit?«
»Noch nicht ganz«, sagte ich. »Der Mond geht auf. Die Stadt nimmt allmählich Form an. Es dauert also noch ein bißchen. Ich wollte mich nur vergewissern, ob du bereit bist.«
»Ich bin bereit«, sagte er.
»Nur gut, daß du gerade jetzt zurückgekommen bist. Hast du etwas Interessantes erfahren?«
»Ganelon hat mich zurückgerufen«, sagte er, »sobald er erfuhr, was geschehen war. Da mir sein Plan gut vorkam, bin ich nun hier. Was die Höfe des Chaos angeht, so meine ich tatsächlich, daß ich das eine oder andere festgestellt habe ...«
»Moment«, sagte ich.
Die Strahlen des Mondlichts hatten nun ein greifbares Aussehen. Die Stadt über mir war deutlich umrissen. Die Treppe war von Anfang bis Ende sichtbar, wenn auch stellenweise noch ziemlich schwach. Ich streckte die Hand aus, berührte die zweite Stufe, die dritte ...
Kühl, weich, so fühlte sich die vierte Stufe an. Doch schien sie dem Druck meiner Hand noch nachzugeben.
»Fast ist es soweit«, sagte ich zu Benedict. »Ich werde die Treppe ausprobieren. Halte dich bereit.«
Er nickte.
Ich betrat die Stufen, eins, zwei, drei. Dann hob ich den Fuß und stellte ihn auf die gespenstische vierte Stufe. Sie gab unter meinem Gewicht allmählich nach. Ich hatte Angst, den anderen Fuß zu heben und wartete, während ich den Mond beobachtete. Ich atmete die kühle Nachtluft, während die Helligkeit zunahm, während der Lichtstreifen auf dem Wasser breiter wurde. Hoch über mir verlor Tir-na Nog´th etwas von seiner Durchsichtigkeit. Die Sterne dahinter schimmerten schwächer. Während dies geschah, wurde die Stufe unter meinem Fuß fester; sie verlor ihre Elastizität. Ich hatte das Gefühl, daß sie mein Gewicht nun tragen würde. Ich suchte die Treppe mit den Blicken ab und überschaute sie von Anfang bis Ende, hier matt-glasig, dort durchsichtig und funkelnd, doch komplett bis zur stillen Stadt, die über dem Meer schwebte. Ich hob den anderen Fuß und stellte mich auf die vierte Stufe. Hätte ich
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