Die Prinzen von Amber
Knie.
»Was tun wir?« fragte Lorraine und setzte sich zu meiner Linken.
»Wir warten«, sagte ich.
»Worauf?«
»Ich weiß es nicht genau – jedenfalls ist die Nacht dafür günstig.«
Sie erschauderte und kuschelte sich an mich.
»Vielleicht solltest du lieber verschwinden«, sagte ich.
»Ich weiß«, entgegnete sie, »aber draußen hätte ich Angst. Wenn ich hierbleibe, kannst du mich doch beschützen, nicht wahr?«
Ich schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht einmal, ob ich mich selbst schützen kann.«
Sie berührte Grayswandir.
»Was für eine herrliche Klinge! So eine Schneide hab ich noch nie gesehen.«
»Es gibt auch keine zweite dieser Art«, erwiderte ich, und mit jeder kleinen Bewegung fiel das Licht in anderem Winkel auf den Stahl, der eben noch mit orangerotem Blut nichtmenschlicher Herkunft bedeckt zu sein schien und im nächsten Augenblick kalt und weiß schimmerte wie Schnee oder die Brust einer Frau und in meiner Hand erbebte, sobald mich ein Kälteschauer packte.
Ich fragte mich, wie es möglich war, daß Lorraine während des Kontaktversuches etwas gesehen hatte, das mir entgangen war. Etwas, das der Wirklichkeit so nahe kam, daß es sich nicht um Einbildung handeln konnte.
»Auch du bist irgendwie seltsam«, sagte ich.
Sie schwieg, während die Kerze vier- oder fünfmal flakkerte; dann sagte sie: »Ich besitze so etwas wie das zweite Gesicht. Bei meiner Mutter war das Talent noch größer. Die Leute sagen, meine Großmutter sei eine wahre Zauberin gewesen. Von solchen Sachen weiß ich allerdings nichts. Na ja, nicht viel. Ich hab´s seit Jahren nicht mehr versucht. Es lief immer wieder darauf hinaus, daß ich letztlich nur Nachteile davon hatte.«
Sie schwieg, und ich fragte: »Was meinst du damit?«
»Ich setzte einen Zauberspruch ein, um meinen ersten Mann an mich zu binden«, erzählte sie, »und nun sieh doch, was er für einer war. Hätte ich es nicht getan, wäre ich viel besser dran gewesen. Ich hatte mir eine hübsche Tochter gewünscht und ließ es dazu kommen ...«
Abrupt hielt sie inne, und ich erkannte, daß sie weinte.
»Was ist los? Ich verstehe nicht ...«
»Ich dachte, du wüßtest es«, sagte sie.
»Nein – ich weiß nichts.«
»Sie war das kleine Mädchen, das im Hexenkreis tot ... Ich dachte, du wüßtest Bescheid ...«
»Es tut mir leid.«
»Ich wünschte, ich hätte diese Fähigkeit nicht. Ich setze sie auch gar nicht mehr ein. Aber sie läßt mir keine Ruhe. Noch immer bringt sie mir Träume und seltsame Zeichen, und dabei geht es nie um Dinge, auf die ich Einfluß nehmen kann. Ich wünschte, die Fähigkeit würde verschwinden und jemand anders plagen!«
»Und das ist etwas, was nicht passieren wird, Lorraine. Ich fürchte, du mußt dich damit abfinden.«
»Woher weißt du das?«
»Ich habe Menschen gekannt, die in deiner Lage waren
– das ist alles.« »Du hast selbst solche Fähigkeiten, nicht wahr?« »Ja.« »Dann spürst du also auch, daß sich da draußen etwas
herumtreibt?«
»Ja.«
»Ich auch. Weißt du, was das Wesen gerade macht?«
»Es sucht nach mir.«
»Ja, das spüre ich auch. Warum?«
»Vielleicht will es mich auf die Probe stellen. Es weiß,
daß ich hier bin. Wenn ich ein neuer Verbündeter Ganelons bin, fragt es sich natürlich, was sich hinter mir verbirgt, wer ich bin ...«
»Ist es der Gehörnte persönlich?«
»Keine Ahnung. Aber ich nehme es nicht an.«
»Warum nicht?«
»Wenn ich wirklich derjenige bin, der das Wesen vernichten könnte, wäre es doch töricht von ihm, mich hier in der Burg des Gegners aufzusuchen, wo ich sofort Hilfe finden kann. Ich glaube eher, daß einer seiner Helfer nach mir sucht. Vielleicht hängt das irgendwie damit zusammen, daß das Gespenst meines Vaters ... ich weiß es nicht. Wenn der Helfer mich findet und identifiziert, weiß das Wesen, welche Vorbereitungen es treffen muß. Wenn es mich findet und vernichtet, ist das Problem ja schon gelöst. Vernichte ich den Gesandten aber, weiß das Wesen schon etwas mehr über meine Kräfte. Wie immer sich die Sache entwickelt – der Gehörnte wird um eine Nasenlänge vorn liegen. Warum also sollte er in diesem Stadium des Spiels seinen gehörnten Kopf riskieren?«
Wir warteten in der schattengefüllten Kammer, während unsere Kerze die Minuten niederbrannte.
Sie regte sich neben mir. »Was hast du gemeint, als du sagtest: ›Wenn es dich findet und identifiziert?‹ Identifiziert als was?«
»Als den, der beinahe nicht gekommen wäre«,
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