Die Prinzen von Amber
mit der Schwertspitze an und ließ ihn erneut heftig ausschwingen. Dies führte zu einer weiteren leichten Brustwunde; ein neuer roter Fleck breitete sich aus. Gleichzeitig stieß der Jüngling einen Schrei aus. An seiner Gesichtsfarbe erkannte ich, daß er noch ziemlich jung war. Ganelon streckte sein Schwert aus und hielt die Spitze mehrere Zoll über die Stelle, die der Hals des Jungen beim Zurückschwingen passieren mußte. Im letzten Augenblick ließ er die Schneide zurückschnellen und lachte leise, als der Junge sich hin und her warf und zu flehen begann. »Bitte!«
»Ich will alles hören«, sagte Ganelon.
»Das ist schon alles«, sagte der Gepeinigte. »Ich weiß wirklich nicht mehr!«
»Warum nicht?«
»Sie sind dann an mir vorbeigaloppiert! Ich konnte nichts mehr sehen!«
»Warum bist du ihnen nicht gefolgt?«
»Sie waren beritten – ich war zu Fuß.«
»Warum bist du ihnen nicht zu Fuß gefolgt?«
»Ich war durcheinander.«
»Durcheinander? Du hattest Angst! Du bist desertiert!«
»Nein!«
Ganelon streckte die Waffe aus und zog sie wieder im letzten Augenblick zurück.
»Nein!« rief der Jüngling.
Wieder hob Ganelon die Klinge.
»Ja!« kreischte der Junge. »Ja, ich hatte Angst!«
»Und dann bist du geflohen?«
»Ja! Ich bin immer weiter geflohen! Ich bin seither auf der Flucht ...«
»Und du weißt nicht, wie sich die Sache weiterentwickelt hat?«
»Nein!«
»Du lügst!«
Wieder geriet die Klinge in Bewegung.
»Nein!« flehte der Junge. »Bitte ...«
Ich trat vor. »Ganelon«, sagte ich.
Er sah mich an und senkte grinsend seine Waffe. Der Junge sah mich an.
»Was haben wir denn hier?« fragte ich.
»Ha!« rief Ganelon und klatschte dem Jungen eins auf den Sack, daß er aufschrie. »Einen Dieb, einen Deserteur
– mit einer interessanten Geschichte.« »Dann schneide ihn los und erzähl mir, was du erfahren hast«, sagte ich.
Ganelon machte kehrt und durchtrennte mit einem einzigen Schwerthieb die Schnur. Der Junge fiel zu Boden und begann zu schluchzen.
»Ich habe ihn erwischt, wie er unsere Vorräte stehlen wollte, und kam auf den Gedanken, ihn nach der Gegend zu befragen«, sagte Ganelon. »Er kommt von Avalon – auf schnellstem Wege.«
»Was meinst du damit?«
»Er war Fußsoldat in einer Schlacht, die dort vor zwei Nächten geschlagen wurde. Während des Kampfes gewann seine Feigheit die Oberhand, und er ist desertiert.«
Der Jüngling wollte widersprechen, und Ganelon versetzte ihm einen Tritt.
»Sei still!« sagte er. »Ich erzähle doch nur, was du mir gesagt hast!«
Der junge Mann bewegte sich seitwärts wie ein Krebs und starrte mich mit weitaufgerissenen Augen flehend an.
»Schlacht? Wer hat denn gekämpft?« fragte ich.
Ganelon lächelte grimmig.
»Die Geschichte dürfte Euch bekannt vorkommen«, sagte er. »Die Streitkräfte Avalons gingen in die schwerste
– und vielleicht letzte – einer ganzen Reihe von Auseinandersetzungen mit Wesen, deren Herkunft nicht natürlich zu erklären ist.«
»Oh?«
Ich musterte den Jungen, der den Blick senkte – doch ich sah die Angst in seinen Augen, ehe die Lider herabglitten.
»... Frauen«, sagte Ganelon. »Bleichgesichtige Furien aus einer unbekannten Hölle, lieblich und kalt. Bewaffnet und in Rüstung. Langes, helles Haar. Augen wie Eis. Sie reiten auf dem Rücken weißer feuerspeiender Reittiere, die sich von Menschenfleisch ernähren. Sie stürmen nachts aus einem Höhlengewirr in den Bergen hervor, welches vor einigen Jahren von einem Erdbeben geöffnet wurde. Sieveranstalteten zahlreiche Überfälle und nahmen junge Männer als Gefangene mit, brachten alle anderen um.
Viele tauchten später als seelenlose Infanterie in ihrem Gefolge wieder auf. Das alles hört sich sehr nach den Menschen des Kreises an, mit denen wir es zu tun hatten.«
»Aber von denen waren viele noch am Leben, als sie befreit wurden«, sagte ich. »Im Kampf wirkten sie gar nicht so seelenlos, nur irgendwie betäubt – so wie es mir auch einmal ergangen ist. Seltsam«, fuhr ich fort, »daß man die Höhlen nicht am Tage versperrt hat, wo die Reiterinnen ihr Unwesen doch nur nachts getrieben haben ...«
»Der Deserteur hat mir berichtet, daß man so etwas versucht hat«, sagte Ganelon. »Doch die unheimlichen Wesen seien nach einer gewissen Zeit stets wieder aufgetaucht, stärker denn je zuvor.«
Das Gesicht des Jungen war gespenstisch bleich, doch als ich ihn fragend ansah, nickte er.
»Sein General, den er den Protektor nennt,
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