Die Prinzen von Amber
zwar nicht durch den Eingang, durch den ich die Szene verfolgte. Meine Handflächen und Fußsohlen begannen zu kribbeln in Erwartung des Kampfes.
Doch er blieb allein.
Reglos saß er da, etwa eine Viertelstunde lang, und als er sich schließlich wieder bewegte, legte er die Karten in seine Truhe zurück und löschte die Lampen.
Die Wächter setzten ihren monotonen Dienst fort, und Ganelon begann zu schnarchen.
Ich klopfte meine Pfeife aus und rollte mich auf die Seite.
Morgen, so sagte ich mir. Wenn ich morgen hier erwache, ist alles in Ordnung ...
5
Ich kaute auf einem Grashalm herum und sah, wie sich das Mühlenrad drehte. Ich lag auf dem Bauch am gegenüberliegenden Ufer des Flusses und hatte den Kopf in die Hände gestützt. Im Dunst über dem Gischten und Schäumen am Fuße des Wasserfalls hatte sich ein winziger Regenbogen gebildet, und ab und zu flog ein Tropfen sogar bis zu mir. Das gleichmäßige Rauschen und das Knarren des Rades löschten alle anderen Geräusche des Waldes aus. Die Mühle lag heute verlassen da, und ich starrte nachdenklich hinüber, hatte ich doch ein solches Bauwerk seit vielen Jahren nicht mehr gesehen. Das Rad zu beobachten und dem Wasser nachzulauschen – das war mehr als eine Erholung. Es war irgendwie hypnotisch.
Es war unser dritter Tag als Benedicts Gäste. Ganelon war auf einer Vergnügungstour in der Stadt. Ich hatte ihn am Vortag begleitet und alle Erkundigungen eingezogen, die ich brauchte. Jetzt hatte ich keine Zeit mehr, den Touristen zu spielen. Ich mußte nachdenken und so schnell wie möglich handeln. Im Lager hatte es keine Probleme mehr gegeben. Benedict hatte uns zu essen vorgesetzt und uns, wie versprochen, eine Karte und ein Einführungsschreiben überreicht. Wir waren bei Sonnenaufgang losgeritten und gegen Mittag am Landhaus eingetroffen. Man empfing uns zuvorkommend, und nachdem wir unsere Sachen ausgepackt hatten, waren wir in die Stadt gegangen, wo wir den Rest des Tages verbrachten.
Benedict gedachte noch einige Tage im Feld zu bleiben. Wenn er zurückkam, mußte ich die mir gestellte Aufgabe erledigt haben. Folglich stand ein Höllenritt auf dem Programm. Zeit für eine gemächliche Reise blieb mir nicht. Ich mußte mich an die richtigen Schatten erinnern und mich bald auf den Weg machen.
Es hätte sehr angenehm sein können, an diesem Ort zu verweilen, der mich so sehr an mein Avalon erinnerte, wenn meine dunklen Pläne nicht förmlich zur Besessenheit geworden wären. Die Erkenntnis dieser Tatsache war jedoch nicht gleichbedeutend mit ihrer Bewältigung. Die vertrauten Szenen und Geräusche hatten mich nur kurz ablenken können, ehe ich mich wieder meinen Plänen zuwandte.
Soweit ich es überschauen konnte, würde es keine Schwierigkeiten geben. Mit dem geplanten Ausflug müßten sich zwei Probleme lösen lassen, wenn ich ihn vollenden konnte, ohne Verdacht zu erregen. Dies bedingte, daß ich über Nacht ausblieb, doch ich hatte so etwas schon geahnt und Ganelon gebeten, meine Abwesenheit zu decken.
Im Rhythmus der quietschenden Geräusche des Mühlrades sank mir der Kopf herab, und ich verdrängte alles andere aus meinem Geist und machte mich daran, die richtige Beschaffenheit des Sandes heraufzubeschwören, seine Färbung und Temperatur, die Winde, den Geschmack von Salz in der Luft, die Wolken ...
Und ich schlief ein und begann zu träumen – doch nicht von dem Ort, den ich erstrebte.
Ich beobachtete ein riesiges Roulette, und wir alle saßen darauf – meine Brüder, meine Schwestern, ich selbst und andere, die ich kannte oder einst gekannt hatte; wir stiegen auf und stürzten hinab, jeder in der ihm zugeteilten Sektion. Wir alle forderten lautstark, das Rad möge für uns anhalten, und begannen zu jammern, wenn wir die Spitze passierten und wieder abwärts schossen. Die Fahrt des Rades begann sich zu verlangsamen, und ich befand mich auf dem Weg nach oben. Ein blonder Jüngling hing mit dem Kopf nach unten vor mir, flehte mich an und äußerte düstere Warnungen, doch seine Worte gingen in der Kakophonie der Stimmen unter. Sein Gesicht verdunkelte sich, zerschmolz, verwandelte sich in etwas unbeschreiblich Schreckliches, und ich hieb nach der Schnur, die sein Fußgelenk hielt, und er stürzte aus meinem Blickfeld. Als ich mich der Spitze näherte, verlangsamte das Rad die Fahrt noch mehr – und in diesem Augenblick sah ich Lorraine. Sie schwenkte die Arme, gab mir verzweifelt Zeichen, rief meinen Namen. Ich sah sie ganz deutlich und
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