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Die Prinzen von Amber

Titel: Die Prinzen von Amber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roger Zelazny
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hatte? Dann war mein Ritt wahrhaft sinnlos, dann war alles vorbei, eine bloße Frage der Zeit, bis sich das Chaos ringsum manifestierte. Ich verzichtete darauf, mich umzusehen, für den Fall, daß sich mir etwas näherte. Ich begann einen nicht allzu schnellen Höllenritt. Ich wollte die anderen erreichen, ehe die Wogen des Chaos bis zu ihnen vordrangen, nur um sie wissen zu lassen, daß ich mir meinen Glauben bewahrt hatte, um ihnen zu zeigen, daß ich bis zuletzt mein Bestes gegeben hatte. Ich fragte mich, wie die große Schlacht wohl stand. Oder hatte sie womöglich noch gar nicht begonnen?
    Ich trabte über die Brücke, die sich unter dem heller werdenden Himmel zu verbreitern begann. Als sie sich wie eine goldene Ebene ringsum ausbreitete, begann ich mich mit Brands Drohung zu beschäftigen. Wollte er mit seinen Worten lediglich Zweifel wecken, mein Unbehagen steigern und meine Entschlossenheit lahmen? Möglich war es. Doch wenn er das Juwel brauchte, mußte er mir irgendwo einen Hinterhalt legen. Ich hatte Respekt vor der seltsamen Macht, die er sich über die Schatten erwerben konnte. Es erschien geradezu unmöglich, sich auf einen Angriff durch einen Mann vorzubereiten, der jeden meiner Schritte beobachten und sich ohne Verzug an die günstigste Stelle versetzen konnte. Wann würde er zuschlagen? Nicht sofort, nahm ich an. Zuerst wollte er mich bestimmt nervös machen – dabei war ich bereits erschöpft und schon ziemlich gereizt. Früher oder später brauchte ich Ruhe und Schlaf. Unmöglich, daß ich die weite Strecke in einem Gewaltritt schaffte, sosehr ich mein Tempo auch beschleunigte.
    Orangerote und grüne Nebelschwaden huschten vorbei, umwirbelten mich, begannen die Welt zu füllen. Der Boden unter uns hallte wie Metall. Von Zeit zu Zeit war ein melodisches Klingeln zu hören wie von aneinanderschlagenden Kristallen. Meine Gedanken wirbelten durcheinander. Erinnerungen an zahlreiche Welten kamen und gingen, wie es ihnen beliebte. Ganelon, mein Freund-Feind, und mein Vater, Feind-Freund, verschmolzen und trennten sich wieder, trennten sich und verschmolzen miteinander. Irgendwo fragte mich einer der beiden, wer das Recht auf den Thron habe. Ich hatte angenommen, die Frage käme von Ganelon, der unsere Motive wissen wollte. Jetzt war mir klar, daß Vater meine Gefühle hatte ausloten wollen. Er hatte sich ein Urteil gebildet, seine Entscheidung getroffen. Und ich kniff nun den Schwanz ein. Ich weiß nicht, ob hier eine Entwicklungsstörung vorlag, der Wunsch, einen solchen Mühlstein loszuwerden, oder eine plötzliche Erkenntnis auf der Grundlage meiner Erfahrungen der letzten Jahre – langsam in mir wachsend, mir eine reifere Einstellung zur beschwerlichen Rolle des Monarchen verschaffend, abseits der wenigen Augenblicke der Pracht und des Ruhms. Ich erinnerte mich an mein Leben auf der Schatten-Erde, Befehle ausführend, Befehle gebend. Gesichter schwammen vor meinem inneren Auge vorbei, Menschen, die ich im Laufe der Jahrhunderte kennengelernt hatte – Freunde, Feinde, Ehefrauen, Geliebte, Verwandte. Lorraine schien mich weiterzulocken – Moire lachte, Deirdre weinte. Wieder kämpfte ich gegen Eric. Ich dachte an das erste Durchschreiten des Musters, als ich noch ein Junge war, und die spätere Wiederholung, da ich Schritt um Schritt das Gedächtnis zurückerhalten hatte. Morde, Diebereien, Schurkereien, Verführungen – sie alle kehrten zurück, weil sie – wie Mallory sagt – vorhanden waren. Es gelang mir nicht einmal, sie alle in zeitlicher Reihenfolge richtig zu plazieren. Da es keine Schuldgefühle gab, bereiteten sie mir auch kein großes Unbehagen. Zeit, Zeit und noch mehr Zeit hatte die Kanten der unangenehmeren Dinge abgeschliffen, hatte verändernd auf mich gewirkt. Ich sah meine früheren Ichs als andere Menschen, Bekannte, denen ich entwachsen war. Ich fragte mich, wie ich je mit ihnen hatte identisch sein können. Im Voranstürmen schienen sich Szenen aus meiner Vergangenheit im Nebel ringsum zu verfestigen. Dichterische Umschreibungen waren nicht mehr möglich. Kämpfe, an denen ich teilgenommen hatte, nahmen greifbare Formen an, bis auf das völlige Fehlen von Geräuschen – das Aufzucken von Waffen, die Farben der Uniformen, der Banner und des Blutes. Und die Menschen – die meisten längst tot. Sie traten aus meiner Erinnerung und gerieten auf allen Seiten in stumme Bewegung. Keine dieser Gestalten gehörte der Familie an, doch hatten sie mir ausnahmslos etwas bedeutet.

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