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Die Prinzen Von Irland

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Titel: Die Prinzen Von Irland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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* *
    Es war Februar, als
die Nachricht den Hafen erreichte. Da er die Warnung des Königs von Dyflin
nicht vergessen hatte, kam sie für Morann nicht unerwartet.
    Die
Wikinger rückten an. Von der Isle of Man, aber auch den weit entfernten
Orkney–Inseln rückte eine große Flotte heran. Krieger–Häuptlinge,
abenteuerlustige Kaufleute, Piraten aus allen möglichen nördlichen Regionen
rüsteten zur Überfahrt. Wenn es ihnen gelänge, den alten Brian Boru zu
schlagen, bestand vielleicht sogar die Chance, die Macht über die ganze Insel
zu ergreifen, wie es Canute und seine Dänen in England geschafft hatten. Auf
alle Fälle würde es aber wertvolle Beute geben.
    Um
die Mitte des Monats kursierten in Dyflin die wildesten Gerüchte. Es hieß, die
Schwester des Königs von Leinster, Brians temperamentvolle frühere Frau, sei
erneut zur Heirat angeboten worden, wenn es der Sache dienen würde. »Die Leute
sagen, sie sei nicht nur dem König der Isle of Man, sondern zugleich auch dem
König der Orkneys versprochen worden«, wusste ein Häuptling, der der Familie
nahe stand, Morann zu berichten.
    »Sie
wird kaum beide heiraten können«, meinte Morann.
    »Da
verlass dich nicht drauf«, antwortete der andere.
    Bisher
gab es jedoch keinerlei Nachricht von König Brian in Munster. Mit Sicherheit
wusste der alte Haudegen Bescheid über das, was sich aus den nördlichen Meeren
zusammenbraute. Würde er zögern, unter solchen Umständen zurückzukehren, wie
manche in Dyflin immer noch vermuteten? Morann glaubte es nicht. Er zweifelte
nicht daran, dass der vorsichtige Eroberer wie üblich nach seinem eigenen
Zeitplan handeln würde. Ende Februar traf ein Schiff von den Orkneys ein, das
die Nachricht brachte. »Die Flotte wird noch vor Ostern hier sein.«
    * * *
    Im frühen Januar, als
er bereits daran zweifelte, ob er jemals rechtzeitig mit seiner Arbeit fertig
würde, hatte Osgar Neuigkeiten völlig anderer Art erhalten, nämlich von
Caoilinn. Sie entschuldigte sich, dass es ihr nicht möglich gewesen sei, schon
früher eine Nachricht zu senden, erklärte aber, dass sie während der Belagerung
in Dyflin festgesessen habe. Sie sandte ihm – vermutlich mit ein wenig
schlechtem Gewissen – zärtliche Versicherungen ihrer Zuneigung. Und sie teilte
ihm mit, dass sie aus Gründen, die sie nicht weiter erklärte, schließlich doch
nicht noch einmal heiraten werde. »Aber komm mich besuchen, Osgar«, fügte sie
hinzu, »komm bald.«
    Wie
sollte er eine solche Botschaft verstehen? Er wusste es kaum. Zuerst nahm er
sie recht gelassen auf. Erst gegen Ende des Nachmittags, als er seine
Federkiele fortlegte und seine Finger auf den kleinen Hochzeitsring stießen,
der sich immer noch in dem Beutel befand, fühlte er plötzlich bei dem Gedanken
an sie einen scharfen Stich erinnerter Leidenschaft in seinem Herzen.
    In
jener Nacht erschien sie ihm in seinen Träumen und erneut in dem Moment, als er
in der düsteren Januardämmerung erwachte, und sie brachte ein sonderbares
Gefühl der Wärme, ein Prickeln der Erregung mit sich – und er konnte sich kaum
erinnern, wann er zum letzten Mal ein solches Gefühl empfunden hatte. Und
dieses Gefühl verschwand auch nicht, sondern es begleitete ihn den ganzen Tag.
    Was
hatte das zu bedeuten? An jenem Abend dachte Osgar eingehend darüber nach. Als
er nach dem Tod seines Onkels wieder nach Glendalough zurückgekehrt war, hatte
er eine Zeit lang unter Anwandlungen schmerzlicher Schwermut gelitten. Seine
Unfähigkeit, nach Dyflin zurückzukehren, und sein beständiges Gefühl, Caoilinn gegenüber
versagt zu haben, waren schwer zu ertragen gewesen. Mit der Nachricht von ihrer
bevorstehenden neuen Heirat schien sich jedoch ein bestimmtes Tor in seinem
Bewusstsein geschlossen zu haben. Wieder einmal brach sie auf und begab sich in
die Arme eines anderen. Er dagegen war immer noch mit Glendalough verheiratet.
Er befahl sich, nicht mehr weiter an sie zu denken, und das gelang ihm auch.
Aber nun hatte er kraft des Wissens, dass sie schließlich doch nicht heiraten
würde, mit einem Mal das Gefühl, als gehöre sie auf eine sonderbare Weise noch
zu ihm. Sie konnten ihre Freundschaft erneuern.
    Sie
konnte ihn in Glendalough besuchen. Er konnte Dyflin besuchen. Er würde die
Freiheit haben, eine Beziehung einzugehen, die so leidenschaftlich wie sicher war.
    Bereits
am nächsten Morgen bemerkte er einen Unterschied. Schien an jenem Tag mehr
Sonne in das Scriptorium, oder war die Welt leuchtender geworden? Als er

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