Die Prinzen Von Irland
geäußert; aber eines hatte der Abt dennoch zu
bemängeln. »Jedes Jahr, Bruder Osgar, scheinst du zur Vollendung jeder
Illustration länger zu brauchen. Bei so viel Übung müsstest du eigentlich mehr
schaffen können und nicht weniger.«
»Je
mehr ich arbeite«, hatte Osgar betrübt geantwortet, »desto schwieriger wird die
Sache.«
»Oh«,
sagte der Abt gereizt. In Momenten wie diesen ging ihm der perfektionistische
Kalligraph auf die Nerven, und er verachtete ihn beinahe. Und Osgar wusste,
dass er solche Dinge keinem Menschen erklären konnte, der die druidische Kunst
der Zeichnung nicht selbst praktiziert hatte.
Die
vierte der ganzseitigen Illuminationen sollte ja nichts anderes als die
sonderbare Spirale widerspiegeln, die der alte Mönch ihm einst in Keils gezeigt
hatte. Er hatte sie nur ein einziges Mal gesehen, aber seither hatte sie ihn
ständig verfolgt. Natürlich hatte er in vielen Büchern Kleeblattformen und
Spiralen gesehen; dieses Bild jedoch unterschied sich auf subtile Art von
anderen Darstellungen. Aber wie konnte man diese kreisenden Linien in eine
exakte Zeichnung bannen, wenn ihre rätselhafte Kraft gerade daher kam, dass sie
in ständiger Bewegung begriffen waren? Jede Skizze, die er davon anfertigte,
scheiterte, und der gesunde Menschenverstand hätte ihm eigentlich sagen müssen,
dass er, besonders angesichts dieses Zeitdrucks, unter dem er arbeitete, die
Sache lieber aufgeben sollte. Etwas Konventionelles würde auch genügen. Aber er
konnte einfach nicht aufgeben. Tag für Tag zerbrach er sich den Kopf darüber,
während er mit der restlichen Arbeit fortfuhr.
Als
man dem Boten des Prinzen das erst zum Teil vollendete Buch zeigte, war zum
Glück bereits klar zu erkennen, dass es am Ende ein prachtvolles Werk sein
würde.
»Ich
werde dem Prinzen melden, dass es in Arbeit ist«, sagte der Bote, »aber er wird
nicht darüber erfreut sein, dass es noch nicht fertig ist.«
»Du
wirst eben schneller arbeiten müssen, Bruder Osgar«, meinte der Abt, nachdem der
Bote Brians verschwunden war.
* * *
Zu Weihnachten wurde
die Belagerung von Dyflin aufgehoben. Brian und seine Armee zogen sich südwärts
nach Munster zurück. Die Belagerer hatten keinen Angriff auf die
Befestigungswerke vorgenommen, und niemand war vor die Stadttore getreten, um
gegen sie zu kämpfen. Als die Einwohner von Dyflin den König von Munster
abziehen sahen, gratulierten sie einander und fielen sich jubelnd in die Arme.
Anfang
Januar, nachdem Brian sich zurückgezogen hatte, beschloss Morann, den
O’Neill–König von Tara für eine Weile zu verlassen und Dyflin einen Besuch
abzustatten. Es überraschte ihn nur wenig, dass er eine Vorladung erhielt, sich
beim König von Dyflin und seinem Rat in der Königshalle zu melden. Dort hieß
man ihn freundlich willkommen. »Uns allen ist bekannt, dass du durch einen Eid
an Brian gebunden warst«, beruhigte ihn der König. Sie hatten zahlreiche Fragen
über den König von Munster und die Beschaffenheit seiner Streitkräfte, und
Morann beantwortete sie.
»Du
hättest genauso gut bei uns bleiben können, Morann«, sagte eines der jüngeren
Ratsmitglieder gereizt. »Brian rückte heran, um uns zu bestrafen, aber am Ende
musste er aufgeben.«
»Er
gibt niemals auf«, entgegnete Morann. »Er wird wieder zurückkommen. Und ihr
tätet besser daran, euch darauf vorzubereiten.«
»Was
für ein trübsinniger Junge«, hatte der König darauf grinsend geantwortet, und
die anderen hatten gelacht. Aber als Morann ihm am nächsten Tag zufällig auf
der Straße begegnete, hatte der König ihn am Arm genommen und ihm leise ins Ohr
gesagt: »Du hast natürlich Recht, was Brian betrifft. Aber wenn er zurückkommt,
werden wir ihm einen anderen Empfang bereiten.« Und er nickte Morann freundlich
zu. »Sei also gewarnt.«
Zwei
Tage nach diesem Gespräch ritt Morann nach Fingal hinaus, um seinen Freund
Harold zu besuchen. Es war vier Monate her, seit er ihn zum letzten Mal gesehen
hatte.
Als
er das Gehöft erreichte, fand er den Norweger zu seiner Freude bei Kräften und
guter Laune vor. Eine Stunde lang führte Harold in Begleitung seiner Kinder den
Gast über das Anwesen. Alles war in bester Ordnung. Erst als sie allein waren,
sprach Morann seinen Freund auf Caoilinn an. »Ich habe gehört, dass Rathmines,
als man dort abzog, noch die Hälfte seines Viehbestands besaß.«
»Das
habe ich auch gehört. Und auch, dass andere Höfe der Gegend bis aufs Letzte
ausgeplündert wurden. Ich bin dir
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