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Die Prinzen von Queens - Roman

Die Prinzen von Queens - Roman

Titel: Die Prinzen von Queens - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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Donnerstagmorgen hat er vier Stunden geschlafen. Alfredo hofft, dass das hier – in einem Zimmer mit Teppichboden Räder ins Rollen zu bringen – die letzte knifflige Aufgabe eines Tages voller kniffliger Aufgaben ist. Er packt die Griffe, bringt sich in Stellung und schiebt kräftig los. Die Räder verheddern sich erst im Teppich, dann aber, mit ein bisschen Mühe, kommen die Batista-Boys ins Rollen. Sie gondeln nach hinten in die Wohnung, zu den Schlafzimmern.
    »Hast du an meine Kapitalanlage gedacht?«, fragt Jose. Womit er sagen will: Hast du mir meine Lottoscheine mitgebracht? Er spielt jeden Tag, ein echter Purist, der die Wahl der Zahlen niemals der Quick-Pick-Maschine überlässt, sondern selbst ankreuzt: die Geburtsdaten seiner Söhne, seine Sozialversicherungsnummer, bestimmte Nummernschildern, oder – falls es ihm mit einer Pechsträhne mal zu bunt wird – das Datum des Schusses, in der Hoffnung, die Lotto-Götter würden die Ironie kapieren. Am Morgen nach einer Ziehung verteilt er die rosafarbenen Scheine auf dem Tisch, schlägt die Newsday auf und gleicht seine Zahlen mit den Gewinnzahlen ab, kreist Treffer ein und streicht Nieten aus. Lotto , Take 5 , Mega , Win 4 , das illegale Numbers – er spielt alles. Bloß Rubbellose kauft er nicht. Haben keinen Stil, erklärt er. Ein Spiel für Idioten. Aber der wahre Grund ist, wie Alfredo weiß, dass die Rubbellose für eine zu schnelle Belohnung, eine zu unmittelbare Enttäuschung sorgen. Wo bleibt die Spannung? Nachdem er die Newsday zugeschlagen und mit seinem Butter-Bialy und seinem Café con Leche fertig ist, knüllt Jose die Verlierer-Scheine methodisch zusammen und schmeißt sie in den Müll. Dann wird aufgestockt. Er gibt Alfredo fünf, zehn oder fünfzehn Dollar und sagt ihm, er solle neue holen – und sieh zu, dass du genau diese Zahlen spielst. Schickt ihn in seinem Auftrag hinaus in die Welt, so dass der Vater für die nächsten vierundzwanzig Stunden wieder ein potenzieller Millionär sein kann. Der Deal ist, dass neunzig Prozent der Gewinne an Jose gehen und Alfredo den Rest einsackt. Kleinvieh für die Beinarbeit, sozusagen. Dafür, dass er die Scheine holt. Nur heute Nacht hat Alfredo es ausnahmsweise – verständlich – vergessen. »Ich hab auf HSN ein Messerset gesehen, das ich von unseren Gewinnen gerne kaufen würde«, sagt Jose. »Ich schwöre dir, diese Messer, die gehen durch den Finger.«
    »Tja«, sagt Alfredo. Er spricht mit dem auf herzzerreißende Weise jungenhaften Haarwirbel am Hinterkopf seines Vaters. »Die Sache ist die …«
    Joses Hände zucken hoch, als wollte er die Räder packen und sie anhalten. Sie schweben einen Moment in der Luft, bevor sie den Weg zurück in seinen Schoß finden. Er legt einen muskulösen Arm über den anderen. »Das sieht dir gar nicht ähnlich«, sagt er. »Das einfach so zu vergessen. Und wenn die Zahlen diesmal passen, Dito?«
    »Schulde ich dir eine Million Dollar.«
    »Muss ich deinen Bruder zu meinem Partner machen, wenn er nach Hause kommt? Ihn damit beauftragen, mir die Scheine zu holen?«
    »Geht nicht«, sagt Alfredo. »Er darf nicht spielen. Wäre gegen seine Auflagen.«
    »Ach, komm schon. Spitzeln die jetzt schon Bodegas aus? Meinst du, Junior könnte nicht einfach die Treppe runtergehen und …«
    »Tariq«, sagt Alfredo. »Nicht Junior. Tariq.« Seine Fäuste würgen die Griffe, als er Jose aus dem Wohnzimmer schiebt. Die Rollstuhlräder holpern über die Teppichkante und landen auf dem glatten Linoleum des Küchenbodens. Für gewöhnlich ist dieser spürbare Übergang Alfredos liebster Teil der Fahrt. Er hat keinen Führerschein, aber wenn er das Linoleum erreicht, stellt er sich normalerweise vor, dass es sich genau so anfühlen muss, eine grüne Welle zu erwischen oder auf Highway-Asphalt aufs Gas zu treten. Heute Nacht hingegen findet er in dem cremigen Gleiten von Gummireifen auf Küchenfußboden keine Befriedigung. »Selbst wenn Tariq deine Scheine abholen dürfte, er würde es nicht tun. Es widerspricht seiner neuen Religion.«
    Isabel steht am Herd, das Gesicht über einem riesigen Kochtopf. In der Küche ist es von ein paar violetten Flammenfingern abgesehen stockdunkel. Alfredo ist sich nicht sicher, ob das Feuer aus dem Herd oder aus Isabel selbst kommt, nicht sicher, wer oder was hier leuchtet beziehungsweise beleuchtet wird. Sie trägt seine alte Trainingshose von der Our Lady of Fatima. Mit dem Letztes-Drittel-Bauch, der ihr Trägertop wölbt, sieht sie

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