Die Prinzen von Queens - Roman
wunderschön, monströs und eigenartig aus.
Sie dreht sich zu ihnen um, sagt aber nichts. Wasser siedet, der Kühlschrank summt. Schlafwandelt sie? War ihr der Sprung von spätnächtlichen Oreos und Eis hin zu ernstzunehmendem Kochen am Herd gelungen? Alfredo hat keine Ahnung, was im Topf ist, stellt sich aber alles Mögliche vor – eine Packung Linguine, einen Schweinekopf –, und gerade als er fragen will, legt sie den Finger an die Lippen, als wollte sie Psssssssst machen. Flammen kriechen am Topf hoch. Alfredo kommt der Gedanke, dass er den Rollstuhl seines Vaters womöglich in irgendeinen Traum hineingesteuert hat.
Jemand in einer der Wohnungen über, unter oder neben ihnen dreht einen Wasserhahn auf, und die Leitungen in den Wänden ächzen. Vielleicht ein Nachbar, der sich ein nächtliches Glas Wasser holt. Jemand, der schon die ganze Nacht geschlafen hat und auch gleich wieder zurück ins Bett kriechen kann. Alfredo fragt sich, was zum Kuckuck die Leute immer so durstig macht.
»Ich hoffe bloß, dass die Zahlen nicht passen«, flüstert Jose. »Das wär’s gerade noch.«
Alfredo schiebt den Rollstuhl durch den Flur bis zu einer offen stehenden Tür, dem Schlafzimmer seines Vaters. Der Raum wird von einem Doppelbett ausgefüllt. Auf dem Bett verteilt liegen ein Dutzend Kissen, jedes einzelne gezeichnet von Joses unverkennbarer Pomade. Lizette geht genauso häufig zum Waschsalon wie zur Kirche – das ganze Schlafzimmer riecht frisch gewaschen –, aber Joses Fettflecken sind genau das, Flecken, die nicht rauszukriegen sind. Lizette versucht es trotzdem weiterhin. Sie hat den Glauben an die erlösende Kraft ordentlichen Schrubbens nicht verloren. Ihre Kommode und die von Jose stehen einander gegenüber, als wären sie in einem endlosen Anstarrwettbewerb gefangen. Alfredo parkt seinen Vater am Fußende des Bettes und macht das Licht an.
Lizette zieht sich weder das Laken über den Kopf, noch rollt sie sich zur Seite oder legt einen Arm über die Augen, ganz einfach deshalb, weil sie nebenan im ehemaligen Zimmer der Jungen schläft. Zu dem Schritt hatte sie sich vor ein paar Monaten entschieden, noch in der Nacht, als Isabel plötzlich vor der Tür stand, mit einer Reisetasche und einem DVD-Player und mit Blutergüssen am Hals. Da zog Lisette in Alfredos Zimmer; Alfredo und sein Gast wurden aufs Schlafsofa im Wohnzimmer verfrachtet. Dein Vater bleibt immer so lange auf, sagte Lizette. Er weckt mich immer. Wo Tariq jetzt schlafen soll, muss noch entschieden werden. Alfredo überlegt, seinen Vater darauf anzusprechen, aber es ist unwahrscheinlich, dass er dazu eine Idee hat. So recht auf Draht ist Papi nicht, nicht in diesem Haus, nicht mehr.
Alfredo arretiert die Bremsen und bringt den Stuhl in Parkposition. Beide Männer haben das gleiche verzerrte, nervöse Lächeln im Gesicht. Alfredo hakt die Arme unter die feuchten Achseln seines Vaters. Ächzend hievt er ihn aus dem Stuhl. Sie taumeln rückwärts. Er und sein Vater, Brust an Brust, sind nun ein Körper, und auch wenn Jose nicht sonderlich schwer ist, so ist er doch eine vollständig leblose, hilflose Last. Seine Beine baumeln. Seine Hände suchen einander hektisch tastend hinter Alfredos Rücken. Als sein Vater abzugleiten beginnt, klemmt Alfredo ihm das Gesicht in den Nacken, der sich weich anfühlt und nach Aqua Velva riecht. Zusammen drehen Vater und Sohn sich um, vollführen ein gefährliches Tänzchen, bis Joses Kniekehlen die Bettkante touchieren. Alfredo lässt ihn sachte auf die Matratze herunter. Beide atmen mit offenem Mund. Gierig ziehen sie in langen Zügen die Luft ein.
»Morgen Nacht«, sagt Jose, »soll uns Junior helfen.« Er knöpft sich langsam, mit zitternden Händen die Hose auf. »Außer, es widerspricht seiner Religion.«
Alfredo zieht an den Aufschlägen, befreit seinen Vater ruckelnd aus der Hose. Dessen Beine sind spinnenmäßig dünn und auf dem Weg vom Rollstuhl zum Bett sind neue Äderchen geplatzt. Lila Flecken sprenkeln seine Oberschenkel. Auf den Hüften hängt eine Unterhose, die so alt ist wie Alfredo. Sie ist aus weißer Baumwolle und in der Mitte feucht.
»Da ist mir wohl ein Malheur passiert«, sagt Jose. Er stützt sich auf die Ellbogen, um Alfredo ins Gesicht blicken zu können. »Kannst du sie mitnehmen? Die Unterhose? Sie verstecken oder wegschmeißen oder so? Deine Mutter soll das nicht wissen.«
Den Kopf zur Seite gedreht, zieht Alfredo ihm die Unterhose herunter. Uringeruch entweicht in den Raum. In
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