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Die Prinzen von Queens - Roman

Die Prinzen von Queens - Roman

Titel: Die Prinzen von Queens - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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wenn man sich an so was nie gewöhnt, war es ihm zumindest gelungen, etwas Haltung zu bewahren. Keine Tränen. Keine zitternden Lippen. Er quatschte sich einfach irgendwas zusammen, erzählte von seiner Famile, seiner Frau und den zwei Söhnen. Dass sie alle hinter der Tür mit der Aufschrift »Nur für Angestellte« schliefen, erzählte er dem Jungen allerdings nicht. Natürlich nicht. Stattdessen erzählte er einfach irgendwas, Blödsinn, in der Hoffnung, ruhig zu wirken, damit auch der Junge sich beruhigte. Mein Jüngster müsste so in deinem Alter sein, sagte er, auch wenn das nicht stimmte. Hey, vielleicht geht ihr ja sogar auf dieselbe Schule. Aus Gründen, die ihm selbst nicht ersichtlich waren, erzählte er dem Jungen, dass Alfredo gigantische Zahlen im Kopf multiplizieren und sich jedes Nummernschild merken konnte. Er wusste nicht, was er sonst sagen sollte.
    Die Tüte fing Feuer. Dass das unmöglich ist, haben ihm schon viele gesagt. Eine Kugel durchschlägt eine Papiertüte wie nichts, no problemo . Aber Jose schwört, das Züngeln einer kleinen Flamme gesehen zu haben, plötzlich da und gleich wieder weg. Das Licht an der Decke über seinem Kopf flackerte, und er erinnert sich, wie er dachte: Ach, das wollte ich ja noch machen. Die Glühbirne wechseln.
    Später im Krankenhaus sagte Lizette zu ihm, es sei ein Wunder. Mitten ins Gesicht geschossen und die Kugel hat ihn verfehlt? Gab’s gar nicht. Eigentlich wäre er tot. Laut Polizeibericht war die Kugel von der Wand hinter ihm abgeprallt. Den Ärzten zufolge in die T12-Region des Rückgrats eingedrungen. Ein Wunder, dass du nicht tot bist, sagte sie. Sie sprach von höheren Mächten. Höhere Mächte?, fragte Jose. Er wollte wissen, wie es zu dem Querschläger gekommen war. Wer hatte ihm die Kugel in den Hinterkopf verpasst? War das auch Gott gewesen? Vollkommen richtig, sagte Lizette und blies kühle Luft in ihren Kaffeebecher.
    Jose hatte den Geruch von Feuerwerkskörpern wahrgenommen, den Knall der Pistole aber nicht gehört. Nicht, als es passierte, und auch später nicht. Er sah, wie eine Flammenzunge die Ecken der Papiertüte wegleckte (möglicherweise), lag dann rücklings hinterm Tresen, dann befand er sich in einem Krankenzimmer, wo ihm eine Schwester mit Pferdeschwanz die Schulter drückte, und schließlich zogen sie in die neue Wohnung, wobei Jose keinerlei Hilfe war, da er nicht mal eine Kiste heben konnte.
    Noch heute fragt er sich, warum der Junge abgedrückt hat. Weil Jose sich nicht schnell genug bewegte, oder zu schnell, oder weil es einfach zu heiß im Laden war oder im Radio das falsche Werbejingle lief? Vielleicht gibt es bei diesen Dingen aber auch nicht immer einen Kausalzusammenhang. Jose weiß es nicht. Er ist der Meinung, den Schuss nicht gehört zu haben, weil ihm die Trommelfelle platzten. Bis heute hat er Hörprobleme, auch wenn Lizette glaubt, es sei ein Trick, ihr Mann simuliere die Schwerhörigkeit nur, damit er nicht zu ihr rollen muss, wenn sie ihn ruft.
    Aber Isabel glaubt ihm. Er muss taub sein, denkt sie. Warum sonst würde er die Dauerwerbesendung lauter drehen? Er weiß nicht, dass sie wach ist. Er ist der Überzeugung, im Zimmer kein Publikum zu haben, und ohne Publikum gibt es keinen Grund, etwas vorzuspielen. Was sollte das Ganze sonst? Auf jeden Fall würde sie sich nicht schlafend stellen, wenn er nicht in seinem Stuhl säße. Sie wäre auf den Beinen, würde Wasser aufsetzen für die Große Überraschung. Aber wie die Dinge liegen – Isabel steht unter Beoachtung –, kann sie nichts anderes tun als warten. Sie hofft, Christian Louis werde auf der Innenseite ihrer Lider vorbeischweben. Sie hofft, er werde auf einer Herde fortlaufend nummerierter Schafe reiten, die über Zäune sprangen. Vielleicht würde er sich in der Taille vorbeugen und Hopp hopp hopp rufen wie ein Jockey und seine Kinderfäustchen würden bis zu den Knöcheln in der Wolle verschwinden, sich verbissen darin festklammern. Sie versucht, das Bild hinter ihren Lidern mit Gewalt heraufzubeschwören, sieht aber bloß Schwärze. Sie tut ja bloß so, als schliefe sie, und wenn Mama ein doppeltes Spiel spielt, kommt Christian Louis nicht. Na schön, denkt Isabel. Sie wartet. Sie schmiedet Pläne.
    J eder der Schließriegel macht ein Flüstergeräusch, als Alfredo sie öffnet. Er drückt die Tür einen Spalt weit auf – bewegt man sie auch nur einen Zentimeter weiter, fängt sie an zu quietschen – und tritt auf Zehenspitzen ins Wohnzimmer. Diesen

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