Die Prinzen von Queens - Roman
nächtlichen Eiertanz führt er nicht seiner Mutter zuliebe auf, die kurz nach Sonnenuntergang das Bewusstsein verliert wie ein Kolibri, erschöpft vom Flügelschlagen eines lieben langen Tages. Sie schläft wie tot im hinteren Teil der Wohnung zusätzlich unterstützt von einer Schlafmaske, einem Ventilator, Ohrstöpseln und zweier Tylenol PM. Sie konnte man getrost vergessen. Papi ebenfalls, der bloß einige Meter entfernt lauthals schnarcht, eine Art Sägewerk auf Rädern. Jose hat einen leichteren Schlaf als seine Frau, aber Alfredo muss ihn ohnehin demnächst aufwecken. Nein, dieses ganze Geschleiche – Alfredo hat das Gefühl, er gehe auf Zehenspitzen, seit er die Wohnung betreten hat –, das tut er nur für Isabel.
Und jetzt ist auch noch alles umsonst gewesen, denn sie ist gar nicht da. Auf der dünnen Matratze des Schlafsofas ist bloß der Abdruck ihres Körpers erkennbar. Er nimmt an, dass sie entweder auf dem Klo festsitzt und mit schwangerschaftsbedingter Verstopfung kämpft oder in der Küche schlafwandelnd Kekse knabbert. In letzter Zeit ist sie des Öfteren mitten in der Nacht in die Küche getaumelt, um sich ein Glas Milch einzugießen und ein paar Oreos zu verschlingen. Am nächsten Tag behauptet sie, sie könne sich an nichts erinnern. Schokolade zwischen den Zähnen, weist sie alle Anschuldigungen von sich. Manchmal öffnet Alfredo den Kühlschrank und entdeckt einen Eiskarton ohne Deckel, in dem noch der Löffel steckt. Isabel sagt dann, Nee, das war ich nicht, ich mag Pistazie doch gar nicht. Und dann sagt Alfredo, Okay. Und denkt, die Farmer in Kansas, die morgens aufwachen und Kornkreise auf ihren Feldern entdecken, sollten endlich aufhören, den Horizont abzusuchen, und stattdessen auf die andere Seite des Frühstückstischs blicken und in den Kitteltaschen ihrer Frau nach dem Traktorschlüssel kramen.
Es ist natürlich immer möglich, dass Isabel reingelegt wurde. Weitaus merkwürdigere Dinge haben sich hier schon abgespielt. Aber Alfredo weiß auch, dass er hier niemanden reinlegt, dass auch sein Vater keinen Löffel in einem Kühlschrank platzieren könnte, an den er gar nicht rankommt und seine Mutter – die nächstliegende Verdächtige, zugegeben – niemals ihre eigene Küche verdrecken würde. Eines Morgens hatte er sie dabei ertappt, wie sie mit dem Finger über die Arbeitsfläche fuhr und Oreo-Krümel auflas. Ihre Lippen waren in Panik zurückgezogen, als wäre Schokolade Anthrax.
»Pagageienköttel?«, hatte Alfredo gefragt.
»Deine Freundin, wegen ihr kriegen wir noch Mäuse.«
»Ehrlich gesagt, das war ich. Ich hatte heute Nacht einen Fressanfall.« Nicht, dass sie ihm geglaubt hätte. Lizette war in ihrem Leben schon so oft belogen worden, dass sie mittlerweile immun dagegen war. Schwachsinn prallte scheppernd an ihr ab. Sie wischte die Arbeitsplatte und stellte das milchverschmierte Glas in den Geschirrspüler.
»Eine Plage wird das«, sagte sie. »Schlimmer als jetzt schon.«
»Kommt nicht wieder vor.« Wenn er seine Mutter anlog, kam sich Alfredo wie ein kleiner Junge vor, der einer Frau, die regelmäßig ins Symphoniekonzert ging, den Flohwalzer vorspielt. Und dennoch freute es ihn, Isabel gedeckt zu haben, wenn auch erfolglos. Er fühlte sich irgendwie größer, wenn er für etwas Verantwortung übernahm, das er gar nicht getan hatte.
Inzwischen ist da draußen Curtis Hughes zu Tode gekommen. Alfredo überprüft jedes Schloss doppelt und legt gewissenhaft alle Türketten vor. Er stellt sich vor, wie Curtis in einem Krankenwagen liegt, das Blaulicht blinkt noch, aber die Sirene ist aus. Etwas Kaltes und Dunkles wie Meerwasser legt sich Alfredo um den Hals. Läuft ihm wispernd ins Ohr. Sollte Curtis’ tödliche Abreibung etwas mit der Vladimir/Unendlichkeitslogo-Katastrophe zu tun haben, dann ist »C. Hughes« lediglich ein Name ganz oben auf einer Liste, auf der auch »A. Batista« und »Winston« stehen.
Überhaupt, Winston. Nachdem die Polizei abgezogen ist, hat er Winston sechsmal angerufen, und sechsmal ist die Mailbox angesprungen. Hey, ähm, hinterlasst doch ne Nachricht. Alfredo stellte sich vor, wie Winston sich das Telefon ans Ohr hielt, als ihn von hinten ein Baseballschläger aus Aluminium erwischte, ihm die Handknochen zerschmetterte und das Telefon zerdepperte. Alfredo hatte die Straßen nach der Spiderman-Kappe abgesucht, in Rinnsteinen und unter abgestellten Autos nachgesehen, bis es ihm unheimlich wurde und er den ganzen Weg nach Hause rannte.
Zum
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