Die Prinzen von Queens - Roman
rausfliegen und der Kiefer brechen. Und die Uhr? Würde die auch kaputtgehen? Davon geht Tariq aus.
C omeback-Tag, Baby! Erster Tag zu Hause. Erster Tag in Freiheit. Während der ersten Haftmonate hatte er Listen angelegt mit Dingen, die er an diesem Tag tun wollte: auf schnellstem Weg nach Hause und drei Stunden duschen, ein paar Bier in Budd’s Bar, Pool spielen, bowlen gehen, im Fernsehsessel sitzen, zum Travers Park gehen und auf den Hand-Ball-Feldern zeigen, wo der Hammer hängt, Zwischenstopp bei Sammy’s Halal, in einem Bett mit drei Dutzend Kissen schlafen, zu einem Spiel der Mets gehen, eine extrafette Tüte rauchen, zu Numbers, Records & Tapes gehen und sich die neue Nas, die neue Noreaga und die neue Mobb Deep holen, seine alte Grundschule Our Lady of Fatima besuchen und sich bei allen Nonnen entschuldigen, Lines von einer CD-Hülle ziehen und ein paar schwarze, weiße, asiatische und Latina-Muschis aufreißen.
Aber die Dinge hatten sich geändert. Er hatte sich geändert. Es waren Dinge geschehen, die er nie für möglich gehalten hätte. Schlimme Dinge? Sicher. Ein paar. Aber man passt sich ja an. Das ist, wie man so schön sagt, das A und O. Tariqs neue und nachgebesserte To-do-Liste für den Tag des Comebacks also:
Uhr kaufen
Schokolade kaufen
Haare schneiden lassen
eine vernünftige, coolere Jeans besorgen
Steri-Strips entfernen
bei Gianni’s zwei köstliche Stück Pizza holen/essen
um 13:10 Uhr, zum Spiel Mets gegen Yankees zu Hause sein, wenn alle zusammen im Wohnzimmer sitzen
Er wirft einen Blick auf seine Casio F-91W. Zeit, in die Gänge zu kommen.
I n einer Bodega auf der Roosevelt Avenue kauft er KitKats, Snickers, Charleston Chews (die mag er am liebsten), Mr. Goodbars und zwei Handvoll Hershey’s Kisses. Das kostet ihn nicht nur die restlichen sechs Isabel-Münzen, er muss auch noch seinen letzten Zwanziger anbrechen.
»Hoffe, du hast einen guten Zahnarzt«, sagt der Bodega-Mann.
Tariq stopft sich die Süßigkeiten in alle vier Hosentaschen, pfropft sie regelrecht hinein. Draußen wechselt er auf die Sonnenseite der Straße, teils weil er es genießt, teils weil die Schokolade warm werden soll.
J eder im Headz Ain’t Ready-Herrensalon in Jackson Heights – die Frisöre, die Männer, denen gerade die Haare geschnitten werden, die Männer, die warten, bis sie an der Reihe sind, die Männer, die in Source oder Sports Illustrated blättern, die Männer, die mit Filzstiften und der Erlaubnis der Geschäftsführung ihre Tags an die Wände kritzeln –, sie alle schauen auf Tariq, als er durch die Tür kommt. Niemand unterbricht das, was er gerade tut. Die Scheren schnippeln, die Rasierer rasieren und aus der Anlage dröhnt ein Eminem-Song, den Tariq noch nie gehört hat. Aber nur, weil die Männer hier nicht innehalten, heißt das nicht, dass sie ihn nicht von oben bis unten mustern. Dafür ist immer Zeit, das weiß Tariq. Selbst die Fotos, die in den Spiegelrahmen stecken. Selbst die Haarmodels auf den Hochglanzporträts an der Wand mustern ihn kurz. Guckt euch mal den neuen Typen an mit der Casio-Uhr und seiner viel zu kurzen Jeans. Besonders ein Junge, ein Besenschwinger, ein dürrer kleiner Wichser mit scharfen Ellbogen und Schamhaarschnäuzer – kann den Blick nicht mehr von Tariq lösen. Er legt die Hand vor den Mund, um sein breites Grinsen zu verbergen.
Das Buch sagt:
Hadert nicht miteinander, damit ihr nicht kleinmütig werdet und euer Sieg verloren geht. Und seid standhaft; siehe, Allah ist mit den Standhaften.
Tariq wartet auf einem unbequemen Holzstuhl, bis er dran ist. Die Männer um ihn herum unterhalten sich über das bevorstehende Spiel der Mets gegen die Yankees. Roger Clemens kommt ins Shea Stadium, die Ersatzschlagmann-Regel ist außer Kraft gesetzt, und nun wollen natürlich alle wissen, ob die Mets ihm für das, was er vor zwei Jahren Piazza angetan hat, die Rübe von den Schultern holen. Niemand fragt Tariq nach seiner Meinung. Nachdem das Thema Mets erschöpft ist, reden sie über die Fehde zwischen Nas und Jay-Z, über Kindesmissbrauch in der Katholischen Kirche und über den kleinen schwarzen Jungen, der sich letzte Nacht in Corona umgebracht hat. Tariq versucht, die Queens Gazette zu lesen, aber die Wörter verschwimmen immer wieder vor seinen Augen. Er hat das sichere Gefühl, dass der Besenschwinger ihn beobachtet.
»Du bist dran«, sagt der Frisör schließlich, und Tariq nimmt auf einem der hohen Lederstühle des Headz-Ain’t-Ready-Platz. Der Frisör
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