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Die Prinzen von Queens - Roman

Die Prinzen von Queens - Roman

Titel: Die Prinzen von Queens - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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kreist hinter ihm. »Verdammt noch eins«, sagt er. »Sieh sich einer die ganzen grauen Haare an! Mein Freund, du bist doch bestimmt nicht älter als zweiundzwanzig, hab ich recht?«
    »Rasier alles ab«, sagt Tariq.
    Im Spiegel sieht er, wie der Frisör die Stirn runzelt, als würde er Tariq viel lieber harte Konturen schneiden oder coole Übergänge rasieren, als sei das einfache Scheren eines Männerkopfes eine Verschwendung seines Talents. »Bist du sicher?«, sagt er. »Ich kann’s abmachen, aber nicht wieder dran.«
    »Runter damit.«
    »Du bist der Boss«, sagt er. Er legt Tariq einen Frisierumhang um den Hals. Sein Atem riecht nach Kaffee, seine Finger nach Barbasol. Während er dazu ansetzt, die Koteletten abzurasieren, setzt er zum Small Talk an. »Das ist aber ein echtes Prachtstück, was du da hast. Noch frisch.«
    Tariq nimmt an, dass er damit die über sechs Zentimeter lange Schnittwunde in seinem Gesicht meint. Der Frisör will die Story hören, hat aber ganz offenkundig nicht den Mumm, direkt danach zu fragen.
    Was soll man schon groß sagen? Es war im Hof passiert, beim Kartenspielen. Sein Spades-Partner hatte ein Nullspiel angepeilt, also musste Tariq die hohen Karten abdecken und so viele Stiche wie möglich machen, und genau das hatte er getan, der Dame seines Partners mit einem Ass auf die Beine geholfen, als er plötzlich etwas hörte, das wie das Öffnen eines Reißverschlusses klang.
    Die anderen Spades-Spieler sprangen vom Tisch auf. Er legte die Hand ans Gesicht, und als er sie wegnahm, war sie glitschig von Blut. Er war beeindruckt, wie grellrot es aussah, fast wie Trickfilmblut – das war, bevor der Schmerz eingesetzt hatte –, ein Zeichen, dachte er, für einen gesunden Körper. Dann begann es in seiner Wange heftig zu pulsieren. Er schloss ein Auge – das linke, auf der unversehrten Gesichtshälfte –, um sicherzugehen, dass er mit dem anderen noch sehen konnte. Während er sich die Backe hielt, rann ihm das Blut den Arm herunter und tropfte von der Ellbogenspitze. Er bemühte sich, dass nichts auf die Spielkarten kam.
    Arturo Sanchez hatte ihn mit einer Zahnbürste angegriffen, hatte ihn aufgeschlitzt und versucht zu blenden. Tariq weiß nicht, ob er eine Klinge benutzt hat – er hatte keine Gelegenheit, Arturo zu fragen –, falls nicht, hatte er bestimmt zwei, drei Nächte damit verbracht, den Zahnbürstengriff an der Zellenwand zu schärfen. Wenn er eine Klinge benutzt hatte – und so fühlte es sich auf jeden Fall an –, hatte er möglicherweise den Plastikschutz von seinem Einwegrasierer abgemacht, das Knaststilett rausgedrückt und mit Hilfe eines Bic-Feuerzeugs auf die Zahnbürste geschweißt, nur dann und wann innegehalten, um auf seine Fingerspitzen zu pusten.
    Er hatte Tariq quer zur Muskelfaser zersäbelt. Die Zahnbürste war knapp überm Mund in die Wange eingedrungen, dann hochgerissen worden, hatte einige Gesichtsmuskeln durchtrennt, war dann bananenförmig um die Augenhöhle herumgewandert und knapp anderthalb Zentimeter vor seinem Ohr wieder ausgetreten. Arturo war einfach gegangen, die jägergrüne Hose blutbefleckt. Hatte die Zahnbürste fallen lassen. Während es für Arturo eine Genugtuung gewesen sein muss, wie das Blut in langen, ansehnlichen Bögen aus Tariqs Gesicht pulste, war er sicher auch enttäuscht, nicht das weiche Gelee des Auges erwischt zu haben. Ganz abgesehen davon, wie sehr es ihn später am Abend angepisst haben musste, sich die Zähne nun mit den Fingern putzen zu müssen.
    Wäre er einer der Wärter gewesen, hatte Tariq sich vorgestellt, dann hätte er sich in einen Krankenwagen gefläzt, der ihn in die Unfallchirurgie des Beacon brachte. Stattdessen verfrachtete man ihn in die hauseigene Krankenstation, wo er seine neue, aufgeschlitzte Visage erstmals zu Gesicht bekam. Er dachte an die Enttäuschung seiner Mutter. Er dachte an Isabel und daran, wie viel schwerer von nun an alles sein würde. Seine Backe war aufgerissen wie das Maul eines Fischs.
    Aber weil er versucht, Allahs Weg im rechten Eifer zu beschreiten, empfing Tariq Seinen Segen in Person des qualifiziertesten Arztes, über den die Abteilung verfügte: eines kleingewachsenen, pragmatischen Koreaners mit verschmierter Brille. Eines Mannes, den ganz Fishkill respektierte, die Vollzugsbeamten ebenso wie die Insassen. Während der Arzt sich an der Wange zu schaffen machte, erzählte Tariq ihm von Isabel, und wie wichtig es war – ja, wie unumgänglich –, dass er ihn vernünftig

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