Die Prinzen von Queens - Roman
immer in der Tür zwischen Küche und Wohnzimmer steht. Derart von ihm beäugt, wird sie sich ihrer Füße, Hände, ihrer plumpen Ellbogen bewusst. Sie presst die Knie zusammen. Sie wünschte, sie hätte keine Knie. Sie wünschte, sie hätte ein langärmeliges Shirt angezogen. Sie wünschte, die Haare auf ihren Armen wären dunkler und zahlreicher. Sie wünschte … pssssst. In Isabels Ohr zusammengerollt summt Christian Louis – der liebe – ein Wiegenlied. Das Schlaflied hat sie aus dem Internet, und sie hat es weitergegeben. Zwischen den Strophen sagt er: Zumindest sind deine Füße bedeckt, Mama. Am Morgen hat Isabel löchrige Socken angezogen und dann gleich wieder gegen ein neues Paar getauscht, hatte geahnt, gewusst, dass sie in diesem Moment, bei dieser ersten Begegnung nicht wollte, das auch nur ein Zeh hervorguckt.
Noch ein letztes Drücken, dann lässt Tariq seine Mutter los und geht zu Isabel. Er nähert sich ihr ähnlich wie ein Gorilla, seitlich, im Profil, zeigt ihr nur die unversehrte Hälfte seines Gesichts.
Alfredo stellt sich vor ihn. Er hält ihm die Hand hin und Tariq schlägt sie zur Seite. Heftig. Er lächelt. Er schlingt die Arme um Alfredo und hält ihn fest – kein Händeschütteln, kein steifes, einarmiges Rückengetätschel. Unsicher, wie er reagieren soll, lässt Alfredo die Umarmung geschehen, die Arme starr herunterhängen. Tariq riecht wie Papi, nach Schweiß und Barbasol, nach Erdnüssen und zerfledderten alten Zeitungen. Er macht leise zufriedene Grunzlaute. War ne lange Zeit, raunt er ihm ins Ohr. Mhm, wirklich? War ne lange Zeit, oder? Zu lang? Etwas in der Art jedenfalls. Hätte Alfredo in der Nacht davor mehr Schlaf abbekommen, würde er möglicherweise verstehen, was sein Bruder sagt, und könnte die passende Antwort zurückzischen. Tariq zieht ihn näher an sich heran, verstärkt seinen Griff, und als Alfredo spürt, wie bei seinem Bruder die Herzfrequenz steigt, geht ihm auf, dass dessen Augen offen sind und er Isabel anstarrt.
»Okay«, sagt Alfredo und windet sich aus seinem Griff. »Komm schon.«
Tariq gibt Alfredo frei und streicht an ihm vorbei zu Isabel. Sie lehnt ihm Türrahmen und versucht, tapfer auszusehen. Alfredo und seine Mutter stürzen hin. Sie flankieren Tariq, der vor Isabel steht, den Körper leicht zur Seite geneigt, die Daumen in den Gürtelschlaufen eingehängt, was ziemlich angestrengt lässig aussieht. Er starrt auf sie herab und sie starrt so lange sie kann mutig zurück, schließlich aber versteift sich ihr Rücken, und sie senkt den Blick. Er befeuchtet die Lippen, bevor er spricht.
»Du bist schon weiter, als ich dachte.«
»Ach ja?«
»Ja«, sagt er, nimmt ihr Wort auf und spuckt es ihr zurück. Er legt ihr die Hände auf den Bauch.
Instinktiv schlägt Alfredo sie weg. Er spürt das Stechen in den Fingerspitzen. In der hinteren Ecke des Wohnzimmers bellt der Hund. Tariq dreht sich zu seinem Bruder um.
»Hör zu«, sagt Alfredo. Er hat keine Rede vorbereitet, keine Erklärung. »Hör mir zu.«
»Ich höre«, sagt Tariq.
»Jose?«, sagt Lizette. Sie zupft ihn am Ärmel. »Wo kommt denn der Hund her? Was sollen wir mit diesem Hund machen?«
Er beachtet sie nicht. Den Blick noch immer auf Alfredo gerichtet, legt er wieder die Hände auf Isabels Bauch. »Da ist mein Neffe drin«, sagt er. »Oder meine Nichte? Ich sag euch was. Anfühlen tut sich’s jedenfalls wie ein Junge, so krass wie der mir gegen die Hände tritt.«
»Es ist ein Junge«, sagt Alfredo.
»Gute Arbeit«, sagt er. »Und wie heißt er?«
Alfredo schüttelt den Kopf. Er weigert sich, den Namen auszusprechen, weil er Angst hat, Tariq könnte ihn irgendwie beschmutzen. »Wissen wir noch nicht.«
»Wisst ihr noch nicht?«, sagt Tariq. »Aber eine Liste werdet ihr ja wohl gemacht haben. Wie wär’s denn mit Alfredo Junior?«
»Wir denken drüber nach«, sagt Isabel. Sie nimmt seine Hände und drückt sie ihm an die Seiten. Sie wendet sich zur Küche und zieht sich im Gehen das T-Shirt über den Bauch. Tariq strahlt, keucht fast. Er macht einen Schritt, um ihr zu folgen, und Alfredo, der jetzt irgend etwas sagen muss, sagt: »Was ist eigentlich mit deinem Gesicht passiert?«
Tariq dreht sich zu ihm um. Alfredo hat Schwierigkeiten, den Blick auszuhalten, und starrt deshalb auf Tariqs knotigen Adamsapfel, auf die Härchen, die sich aus seinem Hemdkragen ringeln. »Was glaubst du wohl, was mit meinem Gesicht passiert ist?«, sagt Tariq.
»Keine Ahnung«, sagt Alfredo.
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