Die Prinzen von Queens - Roman
»Hast du dich beim Rasieren geschnitten?«
»Bingo«, sagt Tariq. »Erraten. Beim ersten Versuch. Ich hab mich beim Rasieren geschnitten.«
Lizette stellt sich auf die Zehenspitzen und küsst Tariq auf die Schulter. »Hast du Hunger, Baby? Ich hab Reis gemacht.«
»Was krieg ich dafür?«, sagt Alfredo. »Dass ich richtig geraten hab, was mit deiner lädierten Hackfresse passiert ist?«
»Alfredo«, zischt Lizette.
»Was willst du?«, sagt Tariq. Er deutet mit dem Kinn in Richtung Pitbull. »Willst du den Hund? Wenn ja, er gehört dir. Mein Geschenk für dich.«
»Deine Mutter will keinen Hund im Haus haben«, sagt Jose Sr.
»Hörst du vielleicht mal auf damit!«, sagt Lizette. Alfredo wirft dem Pitbull seines Bruders einen verstohlenen Blick zu. Der Hund legt sich flach auf den Teppich. Alfredo hat vor vielem Angst. Er hat Angst, Schokolade zu essen, weil er Angst hat, davon Pickel zu kriegen. Er hat Angst, zu Hause auszuziehen. Jeden Tag, wenn er seine Timberlands überstreift, hat er Angst, eine Maus könnte in einem der Stiefel ihre Zelte aufgeschlagen haben. Er hat Angst, das Kreuzworträtsel in der Daily News anzufangen, weil er Angst hat, es nicht fertig zu kriegen. Er hat Angst vor Nichtwissen. Zum Beispiel weiß er nicht, was hier läuft mit seinem besten Freund, seinem Ex-Knacki-Bruder und dem Pitbullterrier, und er hat Angst, nach Einzelheiten zu fragen und seine Ahnungslosigkeit zu zeigen. Er hat Angst, dass er Winstons Drogensucht überhaupt erst ermöglicht. Er hat Angst vor merkwürdigem Schweigen und Giftschlangen und einem weiteren Terroranschlag auf New York – aber wer hat vor all dem keine Angst? Er hat Angst vor seinem Bruder. Er hat Angst vor Autos. Er hat Angst vor Bauernhöfen, speziell davor, in einem Silo gefangen zu sein, während ihm Getreide in den Hals läuft – obwohl er noch nie ein Silo gesehen hat oder auch nur auf einem Bauernhof war. Isabel kackt drei bis vier Mal am Tag, und Alfredo steuert selbst noch mal zwei Haufen bei, und aller DNA-Wahrscheinlichkeit nach wird Christian Louis dieses Haufenbildungs-Gen erben und Alfredo macht sich Sorgen, er könnte sich nicht genügend Wegwerfwindeln leisten. Er hat Angst, ein kalter, unaufmerksamer Vater zu sein, auch wenn Isabel ihm versichert hat, dass schon die Furcht davor garantiere, dass man es nicht wird. Er hat Angst, für zu wenig Geld zu hart arbeiten zu müssen. Er hat Angst, ein 9-bis-17-Uhr-Nasskämmer zu sein, ein Spießer mit bescheidenen Träumen. Er hat Angst vor Fehlgeburten. Er ist nicht bereit, das Wort auch nur auszusprechen. Wenn Isabel nicht da ist, hat er Angst vor den schluchzenden Sirenen der Krankenwagen. Er hat Angst, dass der Körper seines Vaters – wie der so vieler Querschnittsgelähmter – die Bewegungsunfähigkeit von der Hüfte abwärts mit einem finalen Todesurteil verwechselt und einfach den Dienst quittiert. Wenn Alfredo daran denkt, wie er Vladimir in den Nacken getreten hat, bekommt er Angst vor sich selbst. Er hat Angst, dass Vladimir – oder ein Bekannter von Vladimir – Curtis Hughes ausgeknipst hat. Er hat Angst, dass die Gebrüder Knotenfaust – Alex und Bam-Bam – ihn dafür verantwortlich machen. Er hat Angst davor, von Isabel schief angeschaut zu werden, wenn er sie enttäuscht hat. Möglicherweise hat er auch vor Dunkelheit Angst; schwer zu sagen in einer Stadt, wo die Lichter immer brennen. Er hat Angst davor, dass Isabel – und er weiß, dass er ein dämlicher Idiot ist, das auch nur zu denken – er hat Angst, dass Isabel ihn wegen Tariq verlassen könnte. Er hat Angst vor Katzen. Na ja, nicht vor allen Katzen. Bloß einer ganz bestimmten, einer sogenannten Glückskatze mit pechschwarzem Rücken, die nachts immer genau die Gassen unsicher macht, in denen Alfredo und Winston sich gerade zudröhnen. Alfredo plagt in seinem THC-verwirrten Zustand die Sorge, dass diese Katze vielleicht sogar Lizette ist, durch irgendeinen Santería-Zauber verwandelt, um ein smaragdgrünes Auge auf ihren Gras rauchenden, über die Stränge schlagenden Jungen zu haben. Und Hunde. Alfredo hat Angst vor Hunden, besonders vor diesem. Seine Augen sehen aus wie Menschenaugen, mit viel Weiß um die Pupillen rum. Das ist das Gruselige daran. Die Augen treten aus ihren Höhlen hervor, als wollten sie heraus, zurück in das Menschengesicht, aus dem sie stammen.
Wach auf, Alfredo. Ungünstiger Zeitpunkt.
Während er seinen Gedanken nachhing, ist seine Familie darin übereingekommen, sich kollektiv in die
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