Die Prinzen von Queens - Roman
hängen. Ganz offensichtlich arbeitet sein Kiefer unabhängig vom Rest des Gesichts.
»Erst einmal«, sagt Jose, den Blick von dem Jungen abwendend, »isst niemand sein Abendessen um ein Uhr mittags. Alles klar? Zum zweiten will ich nicht irgendein Spiel sehen. Ich will einen ganz bestimmen Schlagdurchgang sehen.«
Vor ein paar Jahren, während eines Spiels der Subway Series, hatte das Pitcher-Ass der Yankees, Roger Clemens, dem Super-Batter der Mets, Mike Piazza, den Ball direkt vor die Murmel gepfeffert. Piazza ist italienischer Abstammung, sieht gut aus und wird in Queens abgöttisch geliebt, und die Mets-Fans behaupteten, der Abschuss sei Absicht gewesen, da Piazza statistisch gesehen weitaus besser dagestanden habe als Clemens. Die Yankee-Fans bezeichneten die Mets-Fans daraufhin als theatralische Heulsusen. Die Debatte spitzte sich beim zweiten Spiel der World Series im Jahr 2000 zu, als Mets und Yankees, diesmal unter dem Flutlicht der Bronx, gegeneinander spielten und Clemens und Piazza erneut aufeinandertrafen. Clemens warf einen Inside Fastball, Piazza zog durch, traf den Ball aber nicht mit voller Wucht. Doch sein Schläger brach – nichts Besonderes eigentlich, so was passiert ständig, aber ein Stück Holz flog in Richtung Wurfhügel, und in einer Anwandlung zähneknirschender Wut hob Clemens das Bruchstück auf und warf damit nach Piazza. Auf dem Spielfeld kam es zu einem Handgemenge, was in einem Spiel der World Series selten ist, dass mit Schlägern herumgeschmissen wird, allerdings auch. Clemens bedrohte Piazza, der seinerseits von seinen Teamkollegen zurückgehalten werden musste. Die dauergekränkten Mets-Fans verloren kollektiv den Verstand, ihr Team das Spiel und dann, ungerechter Weise, auch noch die Series. Eine himmelschreiende Ungerechtigkeit!
Aber jetzt. Jetzt kommt Clemens ins Shea-Stadium, muss seinerseits und ohne den Schutz der »Designated Hitter«-Regel in die Batter’s Box treten und selbst schlagen. Viele in Queens erwarten eine Retourkutsche voll vor die Murmel, und mehr als ein Mets-Fan hofft, dass Clemens dabei ins Gras beißt.
Jose Sr. hegt keinen tiefen persönlichen Groll gegen Clemens, weiß aber, dass die Saison der Mets – und der Kitzel, den er möglicherweise den kommenden Sommermonaten wird abgewinnen können –, dass das alles von diesem einen Schlagdurchgang abhängen wird. Ob die Mets Clemens abschießen oder nicht, ob er in den Staub sinken wird mit einem Bluterguss von der Größe eines Baseballs auf seinem fetten Hinterteil oder nicht, davon hängt ab, ob die Mets bei den Playoffs dabei sein werden oder nicht. So einfach ist das. Und deshalb will Jose von dem Schlagdurchgang nicht, wie über sonst schon so vieles in seinem Leben, aus zweiter Hand erfahren. Er muss den Schlagdurchgang live sehen, in Echtzeit. Täten es seine Beine noch, dann wäre er im Stadion, bloß um die Verzögerung durchs Fernsehen zu vermeiden. Hätte sich ein Ticket für den oberen Rang gekauft und sich dann während eines späteren Innings zu den blauen Sitzen durchgewurstelt. Er wäre Teil der Menge. Würde aufstehen, wenn die Welle kommt. Mit den Füßen stampfen, wenn es Zeit für die Let’s … go … Mets -Chöre wäre.
»Also, wenn es dir nichts ausmacht zu wechseln«, sagt er zu Isabel.
»Willst du dich auf meinen Platz setzen?«, sagt Alfredo.
»Von da, wo du sitzt, kann man zwar ins Wohnzimmer gucken, aber nicht den Fernseher sehen. Hab ich schon genau aufgefuchst. Da sieht man bloß Papageien, und was soll ich mir Papageien angucken? Also, pass auf«, sagt er zu Lizette, die ihren Teller mit beiden Händen festhält. »Ich muss natürlich nicht mit Isabel die Plätze tauschen. Ich kann sie auch alle paar Minuten nach dem aktuellen Stand fragen. Wer wirft? Wer schlägt? Welches Inning? Wo ist Piazza? Wo ist Clemens? Klar, ich muss ihr erst mal beschreiben, wie Clemens aussieht, damit sie überhaupt weiß, wen ich meine. Könnte ich aber einfach dort sitzen, einfach einen guten halben Meter nach rechts rücken, müsste ich niemandem auf die Nerven gehen, meiner reizenden Schwiegertochter nicht, und meiner reizenden Frau auch nicht. Ich könnte mit einem Auge das Spiel verfolgen, mit dem anderen das köstlich duftende Huhn fixieren, das du zubereitet hast und, wer weiß – möglicherweise liefere ich sogar ab und zu einen funkelnden, schillernden Beitrag zum Tischgespräch.«
»Eins muss man dir lassen«, sagt Lizette, halb bewundernd, »du bist echt ne Marke.«
Jose
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