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Die Prinzen von Queens - Roman

Die Prinzen von Queens - Roman

Titel: Die Prinzen von Queens - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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vor Baskin-Robbins beziehungsweise vor dem Jewish Center. Die Fliegende Nonne? Daran muss Junior sich doch erinnern. Die Frau, die sich das Gesicht weiß anmalte und alle Kinder anschrie? Na, die ist so gut wie verschwunden. Schwanger geworden, erklärt Lizette. Vergewaltigt in einer der Obdachlosenunterkünfte in Woodside.
    »Wer will die denn vergewaltigen?«, fragt Tariq.
    »Wie geht’s denn Gio und Conrad?«, fragt Alfredo. »Hast du mal mit ihnen gesprochen?«
    »Soweit ich weiß, sitzen die noch immer hinter Gittern«, sagt Tariq.
    Das Schweigen der Familie schwebt als schwere Wolke über dem Tisch. Längere Zeit sagt niemand ein Wort. Isabel beißt gierig in ein Stück Huhn, ein Teil ist für sie, ein Teil für Christian Louis. Sie ist Conrad oder Gio nie begegnet, aber sie hat die Geschichten gehört. Nicht im Schönheitssalon oder in den Kabinen der Damentoilette, sondern auf der Straße. Hat seinen Bruder verpfiffen, sagten die Leute. Nur um an das Mädchen ranzukommen. Isabel hat Alfredo nie gefragt, ob die Gerüchte stimmen, weil sie weiß, dass er sie nicht anlügen würde und sie sich noch nicht entschieden hat, welche Antwort sie lieber hören würde.
    Tariq hat seine Hand gleich neben ihre auf den Tisch gelegt. Das Gespräch hat sich mittlerweile zergliedert: Alfredo und Winston unterhalten sich über einen gemeinsamen Bekannten, während Lizette Jose fragt, was er sich am Vatertag zum Essen wünscht. Niemand sieht, wie Tariqs Hand näher rückt. Niemand ist Zeuge. Isabel hatte vergessen, wie groß seine Hand ist, wie schwer sie sich auf ihrer angefühlt hatte. Dunkle, borstige Haare kräuseln sich auf seinen Knöcheln. Falls er bloß ihre Hand will, denkt sie, wird sie sie ihm überlassen. Kein Problem. Sie wird sich ein Messer schnappen und sie sich am Handgelenk absägen.
    »Sieht schlimm aus, ich weiß«, flüstert er. Er dreht ihr die Wange hin. Die Haut um den Schnitt ist geschwollen. »Aber ich hab gehört, manche Frauen mögen Narben.«
    Unter dem Tisch bahnt sich seine andere Hand den Weg zwischen ihre Beine. Sie stößt auf das Gewebe ihrer Joggingshorts, ertastet ihre Unterhose. Sie schaut quer über den Tisch zu Alfredo, der offensichtlich abgelenkt ist, sich noch immer mit Winston unterhält. Dreh einfach den Kopf, Alfredo. Dreh einfach den Kopf und guck, was hier passiert. Aber natürlich bemerkt er nichts, weil nie einer irgendwas bemerkt. Sie starrt auf das verschlungene Blumenmuster der Tischdecke. Sie weiß, wenn sie sich ruhig verhält, sich damit arrangiert und es geschehen lässt, dann ist es irgendwann auch wieder vorbei. Er zupft an ihrem Schaamhaar und eine atemlose Isabel springt aus ihrem Körper. Sie hockt sich auf die Arbeitsfläche neben dem Herd. Mit baumelnden Beinen beobachtet sie ihren Körper, diese Isabel, am Kopfende des Tisches. Der Körper wird vollkommen ruhig. Er lässt eine Gabel fallen, die klirrend auf dem Teller landet, aber das kümmert niemanden. Der Körper greift nach Jose Sr. Arm (gut gemacht, Mädchen) und schüttelt ihn. Mit einer Stimme, die sich anhört wie Isabels, aber irgendwie ruhiger und kräftiger klingt, sagt der Körper: »Das Spiel, Papi . Das Spiel, das Spiel.«
    »Das Spiel!«, sagt Jose. Er späht ins Wohnzimmer. »Clemens – er steht schon bereit!«
    Alfredo steht auf, ebenso Isabel. Sie fährt so plötzlich hoch, dass ihr Stuhl umkippt und zu Boden kracht.
    »Vorsicht!«, ruft Lizette, und Winstons Kopf schnellt vor, als wäre er gerade wachgerüttelt worden. Im Wohnzimmer fängt der Hund an zu bellen.
    »Er steht schon bereit!«, sagt Jose. Alfredo hechtet hinter den Rollstuhl seines Vaters, als wolle er den Titel Lieblingssohn für sich beanspruchen. Sie fegen aus der Küche, Jose grinsend, Alfredo wie ein Jockey nach vorn gebeugt und mit wippendem Kopf. Winston stapft mit schweren Schritten hinterher, und Tariq heftet sich an ihre Fersen, als würde er die drei Männer beschatten. Auf dem Weg aus der Küche verliert er kurz das Gleichgewicht und knallt gegen den Türrahmen.
    Allein in der Küche zurückgelassen, starren Isabel und Lizette sich über den Tisch hinweg an. Im Wohnzimmer bellt weiterhin der Hund. Der Fernseher läuft mit tumultartiger Lautstärke.
    »Was glaubst du, was will er?«, sagt Lizette.
    Bevor Isabel fragen kann, was sie damit meint, wummert der Nachbar unter ihnen, Mr. Pettolina, mit einem Besenstiel gegen die Decke. Bomm, Bomm, Bomm, Bomm . Beschwert sich über das Geschrei, das Bellen, Winstons schwere

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