Die Prinzen von Queens - Roman
der Gabel über seinen Teller, wendet gelbe Reiskörner wie ein Schürfer während des neunundvierziger Goldrauschs. Er spießt einen ölumsäumten braunen Würfel Fleisch auf und hält ihn sich vor die Augen. »Mama, was ist in dem Reis?«
»Es ist mein normaler Reis.«
»Ja, aber ist da Schweinefleisch drin?«
»Ein bisschen Schinken. Für den Geschmack.«
»Oh«, sagt Tariq.
»Oh«, sagt Lizette, versteht plötzlich. »Oh, Liebling. Kannst du nicht drumherum essen?«
Tariq schiebt den Teller weg. Er schließt die Augen, und zwischen seinen Brauen bilden sich kleine vertikale Linien. Kleine frustrierte Hautfalten. Sein Gesicht läuft rot an, und für Alfredo sieht es so aus, als würde er die Luft anhalten, während er von Tausend rückwärts zählt.
»Es schmeckt köstlich, Mama«, sagt Alfredo. Er spricht, den Mund voller Huhn, Reis und roten Bohnen. »Du hast keine Ahnung, was du verpasst, großer Bruder. Stimmt’s Dad? Stimmt’s? Papi.«
»Hä?«, sagt Jose. Er schaut in die Runde, unsicher, an wen er sich wenden soll. Er entscheidet sich für Winston, den Gast, den einzigen, der nicht in seine Richtung stiert, den einzigen, der ganz offensichtlich nichts von ihm erwartet.
»Ende zweites«, sagt Jose. »Einer raus. Wir kommen der Sache näher.«
»Das Essen«, sagt Alfredo. »Was hältst du vom Essen?«
Jose lehnt sich in seinem Rollstuhl zurück und tätschelt sich seitlich den Bauch. »Bestes Essen meines Lebens.« Das sagt er jeden Abend. »Eine neue Dimension, Ma.«
»Mein Reden«, sagt Alfredo zu seinem Bruder. »Willst du’s nicht probieren? Glaub mir, den Schinken schmeckst du gar nicht.«
Tariq steht auf. Einen Moment lang erweckt er den Eindruck, als verlöre er das Gleichgewicht und müsse sich mit der Hand am Tisch abstützen. Er lächelt, als wolle er allseits mitteilen, dass keinerlei Anlass zur Sorge besteht. Bitte gehen Sie weiter, scheint er sagen zu wollen. Kümmern Sie sich um Ihre eigenen Angelegenheiten. Hier gibt’s nichts zu sehen. Er schiebt das Essen von seinem Teller zurück in den Topf. Ein Hühnerbein klatscht hinein, rote Sauce kleckert auf Lizettes Tischdecke mit dem Blumenmuster. Tariq scheint es nicht zu bemerken. Viel länger als nötig fährt er mit der Gabel über den Teller, was ein fürchterliches Geräusch macht, ein Quietschen, als würden entweder die Gabel oder der Teller vor Schmerzen aufschreien.
»Willst du meine Banane?«, sagt Alfredo. »Hat den Schinken nicht mal berührt. Ehrlich.«
Tariq setzt sich wieder. Er legt Messer und Gabel über Kreuz auf seinen Teller, und schiebt das ganze dann von sich. »Nett von dir«, sagt er. »Aber danke, nein.«
Lizette fragt ihn, ob sie ihm etwas anderes machen soll. Ein Thunfisch-Sandwich vielleicht. Oder einen Teller Makkaroni. Er antwortet nicht. Er sitzt auf seinem Stuhl, die Lippen bewegen sich lautlos, als würde er einen Zauberspruch aufsagen oder ein Gebet sprechen. Lizette fragt ihn, warum es so lange gedauert hat, bis er nach Hause gekommen ist. Hat er noch Bekannte getroffen? Alte Freunde besucht?
»Was für Freunde?«, sagt Alfredo.
»Vielleicht … äh …«, Lizette verstummt. Sie möchte das Tischgespräch so unpersönlich wie möglich halten. Sie möchte die Atmosphäre von lange gehegten Vorwürfen frei halten, weshalb sie, um nicht aufs falsche Gleis zu geraten, will, dass alle über Leute sprechen, die jeder von ihnen kennt, möchte harmlose Neuigkeiten über gemeinsame Bekannte erzählen und hören. Lebt Soundso immer noch zu Hause? Hat seine Mutter die Küche dann doch renovieren lassen? Das Problem ist allerdings, dass die Batistas keine gemeinsamen Bekannten haben. Alfredo hat recht. Welche Freunde hat Junior schon? Und nicht nur er. Jose verlässt das Haus nicht, Isabel ist quasi Waise, und Lisettes Kolleginnen verkehren nicht in denselben Kreisen wie Alfreds kaputte Kumpel. Aber Moment!
»Hast du Ohrmann gesehen?«, sagt Lizette plötzlich ganz glücklich. »Als du hergelaufen bist, hast du sein neues T-Shirt gesehen?«
Na klar! Die Hirnis aus der Nachbarschaft! Die kennt doch jeder! Lizette dreht nun richtig auf vor ihrem Sohn, füllt seine Wissenslücken. Sie haben die Bank vor der Post entfernt, erklärt sie, deshalb haben sich die Penner jetzt wie die Tauben verstreut. Popeye – erinnerst du dich? – raucht seine Parliaments jetzt durch ein Loch im Hals. Der Alki ohne Beine und der junge Rastamann, der beim Betteln Discman hört, haben den Standort gewechselt, betteln jetzt
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