Die Prophetin von Luxor
stiegen über und durch die vielen Boote, umgeben von lautem Stimmengewirr. Schließlich hatten sie den Kai erreicht und schlugen den Weg zum Markt ein.
Um sie herum dröhnte kakophoni scher Lärm: von Straßenhändlern und Verkäufern. Bei ihrem Gang über den Markt stolperte Chloe über ein Päckchen. Sie bückte sich und hob es auf, als sie eine alte Frau danach fassen sah - ganz offensichtlich die Besitzerin. Chloe streckte es ihr hin. Als die alte Vettel mit schwarzen Augen zu ihr aufsah, spürte Chloe einen eisigen Finger in ihrem Rücken. »Ist das deines, alte Mutter?« Die Frau schüttelte heftig und abwehrend den Kopf. »Bitte, ist das deines?« Ihr klarer Blick hielt Chloes stand, die in ihrem Kopf hörte: Nimm es, es ist die Zukunft.
»Komm schon, Chloe!« Cheftu zupfte sie am Arm.
Chloe hatte das Gefühl eines Déjà-vus, als sie sich umdrehte und Cheftu hinterherging, verfolgt von dem Lachen der Alten.
Sie kamen in ein ärmeres Stadtviertel, wo sich die Lehmziegelhäuser wie müde alte Männer aneinanderlehnten. Der weiße Kalk war bröckelig, und Kindergeschrei hallte durch die Straßen. Der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Zerstörung des Landes zum Trotz ging das Leben weiter. Chloe sah ein Holzschild in Form eines Skorpions, und Cheftu drückte die Tür darunter auf. Sie traten in einen kleinen Hof. Ein Limonenbaum hatte ihn früher überschattet; jetzt wiegten sich seine nackten Äste in der leichten Brise.
Eine mittelalte Frau kam heraus und wischte sich die bemehl-ten Hände an der gestreiften Shenti ab. Sie sah sie scharf an, dann lachte sie laut und zahnlos. »Edler Herr Cheftu!« rief sie aus und schlang die Arme um seinen Hals. Chloe blickte überrascht von der abgerissenen Frau auf Cheftu.
»Mara!« begrüßte er sie. »Leben, Gesundheit, Wohlergehen! Das ist meine Frau Chloe.«
Die Frau bekreuzte ihre Brust und umfaßte dabei mit einer Hand ihr Amulett gegen Khefts. »Zu Diensten, Herrin«, säuselte sie. Dann sah sie Cheftu wieder an. »Wie ich sehe, brauchen der Herr und die Herrin ein Zimmer.«
Beflissen schlurfte sie voran zur Treppe. »Folgt mir nur.«
Sie stiegen die knarzende Treppe hinauf in einen überraschend hellen Raum mit einer breiten, durch Vorhänge abgetrennten Liege sowie einem niedrigen Tisch und Stühlen. Die Fenster gingen auf einen kleinen Balkon, von dem aus man den Heiligen See des Tempels sehen konnte. Chloe hörte Gold klimpern, und gleich darauf stand Cheftu hinter ihr und hatte die Arme um ihre Taille geschlungen.
»Eine Ex-Freundin?« fragte sie und badete dabei in der Sonne die auf die weißgekalkten Mauern schien.
»Das alte Mädchen ist eine göttliche Köchin und verschwiegen wie ein Grab. Sie war mit uns auf der Expedition nach Punt. Als sie diese Herberge eröffnet hat, haben Kommandant Ameni und ich sie oft besucht, nur wegen ihres Linseneintopfes.« Er verstummte.
»Was?«
»Ich habe mich gefragt, ob ich wohl jemals an einen Vorfall oder ein Erlebnis zurückdenken werde, bei dem niemand beteiligt war, der in einer der Plagen gestorben ist.« Sein Griff um Chloe verstärkte sich.
»Du zerquetschst mich«, keuchte Chloe, und sein Arm lok-kerte sich wieder.
»Ich will diese Rolle nicht spielen, Cheftu . ich will nicht zurück.« Sie drehte sich in seinen Armen um und hob sein Gesicht mit ihrer Hand an, um seine Wangen, sein Kinn, seine Nase und seine Brauen zu berühren . und sich alles einzuprägen. Seine Augen strahlten in der Sonne wie reines Gold, und Chloe war klar, daß er seinen Kummer für sich behielt, um nicht sie damit zusätzlich zu belasten.
»Was ist heute für ein Tag?« fragte sie unbehaglich.
»Der zwanzigste«, antwortete er. »Uns bleiben noch drei Tage und zwei Nächte.«
»Auch heute?«
»Bis zum Abendessen.« Er versuchte sich an einem Lächeln. »Wir dürfen Maras Essen auf keinen Fall verpassen.«
Für Chloe war das zuwenig Zeit. Hundertmal hatte sie Cheftu geliebt, und doch blieben ihr nicht genug Stunden, um ihn ganz in ihrem Fleisch aufzunehmen, um die seidige Weichheit seiner Haut und seiner Kraft zu spüren, seine rauchigen Worte an ihrer Haut zu hören. Viel zuwenig Zeit.
Cheftu spürte, wie sie sich von ihm zurückzog, und er konnte ihr keinen Vorwurf daraus machen, selbst wenn er am liebsten mit aller Kraft in sie gedrungen wäre und sie gezwungen hätte, ihr gesamtes Selbst mit ihm zu teilen. Ihre so bewundernswerte Standhaftigkeit und ihre Kraft, die ihn schwach vor Verlangen werden ließ, zogen
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