Die Prophetin von Luxor
dran, Geliebter.«
Er ließ die Wurfstäbe ausrollen und addierte dann halbherzig die Punkte.
»Cheftu?«
Er hob den Blick vom Brett.
»Was wäre geworden, wenn wir zusammengeblieben wären? Wie wäre es wohl gewesen?«
Außer dem Klappern der erneut geworfenen Wurfstäbe war kein Laut zu hören.
»Du magst langsame Foltern, hau , Geliebte?«
Sie strich mit ihrem Fuß über Cheftus.
»Nein ... ich ... ich bin einfach neugierig.«
Er lächelte schwach.
»Die ewig neugierige Chloe.«
Er fuhr sich mit der Zunge über die spröden Lippen.
»Wir hätten überall leben können. Meine medizinischen Fähigkeiten sind sehr nützlich.« Er betastete die Narbe an seinem Bein. »Deine auch.« Er fing ihren Blick auf. »Danke, daß du in der Wüste so gut für mich gesorgt hast, Geliebte.«
Sie sah zur Seite. »Wenn wir in Ägypten geblieben wären?«
»Wenn wir Pharao, ewig möge er leben!, nicht vor den Kopf gestoßen hätten? Dann hätten wir beim Atmu zu Abend essen, mit dem Hof auf die Jagd gehen und unsere Kinder im Haus des Lebens zur Schule schicken können.«
»Jungen und Mädchen?«
»Absolument.« Er schob seine Figur weiter. »Du hättest alles mögliche machen können. Leiten, verkaufen, malen.«
»Selbst meine modernen Kunstwerke?«
»Nein. In Ägypten ist alles streng geregelt, das weißt du genau. Doch ich habe deine traditionellen Werke gesehen, und auch die sind ohnegleichen.« Er beobachtete, wie ein tiefes Rot in ihre Wangen stieg.
»Du hättest unser Grab ausmalen können . wo wir in alle Ewigkeit friedlich vereint geruht hätten .«
Er verstummte.
Lieber Gott - nur noch ein Tag.
Er sah Chloe an, die in ein Leintuch gehüllt vor ihm saß, da sie während der vergangenen vierundzwanzig Dekane so gut wie nicht von der Liege heruntergekommen waren.
Sein Körper war erschöpft, bis an die Grenze der Belastbarkeit ausgepreßt. Verzweifelt versuchte er, die Erinnerung an sie so aufzunehmen, daß er ein Leben lang davon zehren konnte, wenn er denn noch lange leben sollte. Er zog mit seinem spitzen blauen Stein. Es gab soviel zu sagen, so viele nutzlose Worte, mit denen er seinen nicht endenden Schmerz hätte beschreiben können. Eigenartigerweise empfand er keine Wut, nur Schmerz - so intensiven Schmerz, daß er versucht war, sich selbst zu verletzen, um diese Schmerzen irgendwie auszugleichen. Und doch lag darin ein Friede, den er nicht zu erklären vermochte.
Chloe bewegte sich. Cheftu kniff die Augen zusammen und probierte, sie mit roten Haaren und blasser Haut zu sehen. Seine Einbildungskraft ließ ihn im Stich. Es war ihm gleich, wie sie aussah, das war die Ironie. Er begehrte sie so sehr, so sehnsüchtig, er brauchte sie so, daß die physischen Aspekte der Liebe zweitrangig gegenüber dem Bedürfnis wurden, ihre Seele und ihren Geist zu erforschen.
Sie hob den Fuß an seinen Schurz und strich mit der Sohle über seinen Bauch und über die Stelle darunter. Im nächsten Augenblick stieß sie das Spielbrett um und kroch wie eine behende Katze über ihn. »Fraise?«
»Heiliger Osiris ...!«
Sie blieb unnachgiebig, und Cheftu brachte keinen weiteren Gedanken zustande, so überschwemmten ihn seine Empfindungen. Er lehnte sich nach hinten, ließ sich von ihren muskulösen Beinen in Versuchung führen und machte sich mit einem spitzbübischen Lachen daran, Chloe erneut darin zu unterweisen, wie man die Kontrolle verliert.
Als Cheftu aufwachte, blickte er in die Sonne, und das Herz wurde ihm schwer. Der Dreiundzwanzigste. Wo wäre sie in vierundzwanzig Dekanen? Bei dem Gedanken zog sich sein Herz zusammen. Vorsichtig drehte er sich um, löste sich aus Chloes Umarmung und ließ die kühle Luft an seinen Körper. Plötzlich fiel ihm auf, wie kalt ihm ohne sie war. Sie lag in tiefem Schlaf und gab keinen Ton von sich, als er sie an seine Brust zog, ihr die Haare aus dem Gesicht strich, dabei alberne Koseworte vor sich hinflüsterte, die er ihr nie ins Gesicht sagen könnte, und ihrem schlafenden Körper Versprechen machte, die er würde brechen müssen, sobald sie erwacht war.
Dann begann er, sie fest an sich drückend, zu weinen. Lautlos strömten die Tränen aus seinen Augen; in seinem Herzen donnerten Gebete der Verzweiflung. Er atmete durch den offenen Mund, um sie nicht aufzuwecken, denn er wollte den Beginn dieses Tages so lange wie möglich hinauszögern. Sie sollte nicht ihm gehören. Trotz seiner Bemühungen, sie zu binden und zu zeichnen, war sie am Ende doch frei. Es war ein Segen
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