Die Prophetin von Luxor
einer abgedeckten Liege in einer der Zeltkabinen an Deck geleiten, wo die Hitze und das gleichförmige Bild von blauem Himmel, grünem Wasser und rotgoldenem Sand sie einnicken ließ. Ganz zu schweigen davon, daß ihr nicht ein einziges Mal übel gewesen war. Sie wurde aus dem Schlaf gerissen, weil das Schiff anhielt. Die Segel waren herabgelassen worden, und ein Blick in den Himmel verriet Chloe, daß sie den größten Teil des kurzen Wintertages verschlafen hatte. Sie trat wieder auf das Deck.
Sie befanden sich an der Ufertreppe eines riesigen Landsitzes knapp nördlich von Gebtu, erläuterte ihr die »andere«. Palmen und Feigenbäume überschatteten einen in Stufen angelegten Fußweg, der zu einem weißen Haus hinaufführte. Chloe sah Gestalten näher kommen, die eine Reisesänfte trugen.
»Herrin«, sagte der Kapitän, »der edle Herr Cheftu bittet dich, diese Nacht in seinem Heim zu verbringen.«
Mit eisernem Griff um ihren Arm führte er sie an die Treppe, um ihr klarzumachen, daß sie keine andere Wahl hatte. Zwei Sklaven bedeuteten ihr, in den Tragsessel zu steigen. Sie wurde in einen wunderschönen kühlen Garten getragen, dessen hohe Kalkmauer, mit regelmäßigen Mustern durchbrochen, um den Wind durchzulassen, als Schutz gegen die sinkende Sonne diente.
Sie wurde weiter in einen Raum mit hoher Decke geleitet, wo eine blau bemalte Liege stand und die Wände mit Unterwasserszenen voller Fische und einem blauen Himmel mit lauter Vögeln bemalt waren. Der Anblick war atemberaubend.
Ach, Camille, dachte sie, könntest du nur durch meine Augen schauen!
Sie ging in das angrenzende Bad mit den Fensteröffnungen und einem kleinen Balkon. Der Duft zermahlener Blüten wehte sie an, und sie sah, daß das Badebecken eingelassen war und Blumen im klaren Wasser schwammen.
Nebjet, Cheftus altes Kindermädchen und nun seine Haushälterin, half ihr gemeinsam mit der Leibdienerin Irini aus den Gewändern und in das tiefe Becken. Nebjet und Irini trockneten sie ab und ölten sie ein, dann öffneten sie eine Unzahl von Kisten und Truhen, aus denen sich Chloe nach Herzenslust bedienen konnte. Chloe ignorierte die Frage, wieso Cheftu eine komplette Frauengarderobe in seinem Haus aufbewahrte, ebenso wie sie die wunderschöne Leibdienerin ignorierte. Seine Leibdienerin. Daß er niemanden erwähnt hatte, hieß nicht automatisch, daß es in seinem Leben niemanden gab. Wieso sollte er das ihr erzählen, einer Frau, die er offenkundig haßte?
»Möchte die Herrin heute abend eine Farbe tragen?«
Chloe nickte heftig. Obwohl die meisten Ägypterinnen ausschließlich Naturweiß trugen, wünschte sie sich allmählich etwas Farbe. Blau, das wußte sie, stand für Trauer. Gelb war die Farbe der Priester Amuns. Rot war den Soldaten vorbehalten. Andere symbolische Farben kannte sie nicht.
Irini zog einen fein gewobenen hellgrünen Stoff heraus, und Chloe klatschte zustimmend in die Hände. Erst sah der Stoff einfach aus wie ein riesiges Viereck, doch dann schlug das
Mädchen die beiden unteren Enden übereinander wie bei einem Wickelkleid, danach zog sie die beiden oberen Ecken über Kreuz, immer neue Falten legend, und drapierte den gefältelten Stoff vor Chloes Brüsten, ehe sie ihn mit einem Knoten unter ihrem rechten Busen befestigte. Auf diese Weise hatte sie zwei perfekt gebügelte Ärmel gefaltet, die ihr vom Schlüsselbein bis zu den Unterarmen reichten. Wieder wünschte Chloe sich Unterwäsche, obwohl das farbige Leinen etwas weniger durchsichtig war. Sie fühlte sich ein wenig unsicher, doch andererseits würde sie nicht viel unternehmen, dachte sie. Nur essen -ihre einzige Form von Bewegung! Irini zauberte ein ganzes Sortiment von Schärpen hervor, und Chloe entschied sich für eine grüne mit aufgestickten silbernen Ankhs.
Sie berührte den geschmiedeten silbernen Ankh um ihren Hals. In den vergangenen Wochen hatte sie immer wieder die Eingravierung studiert ... RaEmhetep. Das »et« am Ende ihres Namens war die weibliche Endung. Ihre Erinnerung an jenen Tag im Jahr 1994 am Ufer des Nils verblaßte immer mehr. Sie hatte sogar Schwierigkeiten, sich ins Gedächtnis zu rufen, wie der Typ überhaupt ausgesehen hatte. Ihr Anhänger hing nun tiefer, eine Tatsache, die sie sich nicht erklären konnte. Während ihrer an einer mittelschweren Kette gehangen hatte, um ihre Reservistenübungen und ihren betriebsamen Lebenswandel zu überstehen, baumelte der hier an einer dünnen Kette, in der sich Lapis- und Malachitperlen
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