Die Prophetin von Luxor
abwechselten.
Eigenartig.
Irini kämmte Chloes Haar in eine matt scheinende Onyxmatte und knüpfte ein Band von winzigen Silberglöckchen hinein. Chloes Lider bedeckte sie mit schwerer grüner Farbe und zog sie dann mit dem unvermeidlichen schwarzen Bleiglanz nach. Chloe ließ alle Kragen zurückgehen, statt dessen entschied sie sich für einen Cloisonne-Anhänger in Form eines Falken und für leichte silberne Ankh-Ohrringe. Sie stieg in die Sandalen, die man eigens für ihre Füße angefertigt hatte, und
wartete.
Sie wünschte, sie hätte einen richtigen Spiegel, um zu sehen, wie sie sich als antike Cinderella machte.
»Ist die Herrin bereit zum Mahl?« fragte ein männlicher Diener höflich. Chloe folgte ihm eine halbdunkle Treppe hinauf und durch eine Kammer aufs Dach. Die Sonne war eben untergegangen. Immer noch erhellten strahlendes Rosa und Gold den Himmel.
»Du siehst heute abend bezaubernd aus, RaEm«, sagte Cheftu. Sie drehte sich zu dem niedrigen Tischchen um, an dem er saß. Im schwächer werdenden Licht schienen seine Augen zu glühen. Sie lächelte zur Begrüßung und hielt den Atem an, während er sich erhob, kraftvoll und männlich, um sie zum Tisch zu geleiten. Als er ihren Ellbogen nahm und sie zu einem der mit Kissen ausgelegten Stühle führte, spürte sie die Hitze seiner Hand wie einen Schock.
Chloe versuchte sich wachzurütteln. Einerseits fühlte sie sich wie im Märchen; andererseits war dies hier auf schreckliche und beängstigende Weise real.
»Bitte, nimm etwas Wein.« Er hielt ihr ein Glas hin. »Er kommt aus dem Weinberg meiner Familie am Teftefet-See im Fayyum.« Chloe nippte daran; obwohl er für ihren neuzeitlich geprägten Geschmack sehr süß war, fand sie ihn dennoch vorzüglich und zu Kopf steigend. Sie folgte Cheftus Beispiel und naschte wie er Garbanzobohnenpaste und Gemüse, während sie beide ins Halbdunkel blickten.
Wenig später war es total dunkel geworden, und Ehuru entzündete die Öllampen, die ihre tanzenden Schatten auf die Flächen und Kanten von Cheftus Gesicht warfen.
Sie versuchte, sich auszumalen, wie er in einem Frack oder in Levi’s und T-Shirt aussehen würde. Die Bilder waren durchaus ansprechend.
Nicht daß Cheftu ausgesehen hätte wie ein byzantinischer Heiliger oder ein junger griechischer Gott. Er war nur zwei, drei Zentimeter größer als sie, doch er bewegte sich mit der gezügelten Energie eines Athleten. Mit seiner kraftvollen Eleganz, den goldenen Augen und der distanzierten Kühle erinnerte er sie an die Löwen, die sie auf einer Safari mit ihren Eltern gesehen hatte.
Durch ihre Kamera hatte sie die großen Katzen dabei beobachtet, wie sie die Welt um sich herum in Augenschein nahmen, ehe sie sich mit aufblitzenden Zähnen und Klauen auf ihre Beute stürzten. Allerdings waren sie auch die faulsten Tiere, die ihr jemals begegnet waren. Das schien auf Cheftu jedoch nicht zuzutreffen.
Seine Züge waren ebenmäßig, wenn auch etwas zu ungeschliffen für ihren Geschmack. Seine dichten, schwarzen und mit Bleiglanzpulver verlängerten Brauen standen wie Bögen über seinen mandelförmigen Augen und trafen sich über seiner langen, geraden Nase. Seine Lippen waren voll, doch er preßte sie konstant fest aufeinander, wenn er sie nicht zu einem gelegentlichen reservierten Lächeln auseinanderzog, bei dem starke, weiße Zähne zum Vorschein kamen - was, wie sie allmählich begriff, in Ägypten Seltenheitswert hatte. Seine Augen waren mit schwarzem Bleiglanzpulver nachgezogen, und Chloe hatte das Gefühl, daß ihnen nur wenig entging. Er war ein Rätsel, ein Gelehrter und Geistlicher zugleich mit dem Körper einer Statue. Berninis David mit finsterem Blick, während er seine Steine auf Goliath schleuderte, der perfekte Körper in der Bewegung eingefangen.
Obwohl er ihr so fremd vorkam und sich so desinteressiert zeigte, sprach Cheftu, ohne daß er es darauf angelegt hätte, etwas in ihr an. Er besaß eine ursprüngliche Männlichkeit, die aus seinem Handeln, seinem Wesen herrührte. Er trieb keinen Sport, er trainierte seinen Körper ganz automatisch: beim Reiten, Jagen, Bogenschießen. Er brauchte keinen sündteuren italienischen Anzug und keinen roten Porsche, um Wirkung zu erzeugen - die spürte man auch so. Er war jedem gegenüber
vernünftig und mitfühlend, nur ihr gegenüber nicht.
Ihr gegenüber ganz eindeutig nicht.
Er war so real. Und doch, dachte sie mit einem Blick auf das Amulett, das er um seinen Oberarm gebunden hatte, damit es
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