Die Prophetin von Luxor
Gewand und ihren Anhänger an und vermißte erstmals seit mehreren Tagen wieder ihre Unterwäsche. Genauer gesagt vermißte sie in diesen Minuten alles aus ihrer Welt. Sogar die Simpsons.
Der Rest war einfach. Sie trank etwas brackiges Wasser, während ein in Rot gekleideter Priester mit Schlammstreifen auf dem Gesicht den Blut-Schlamm-Skarabäus um ihr bandagiertes Handgelenk legte. Dann verließen sie den Tempel und traten hinaus in die kühle Nacht. Chloe atmete tief die frische Luft ein, die nach Wachstum duftete, und ließ sich von Cheftu in die Sänfte heben. Ihr Handgelenk begann im Takt zu den Stichen zwischen ihren Augen zu pochen. Wieso haben sie mir den Kopf geschoren? dachte Chloe mißmutig, bevor sie einnickte.
Jemand half ihr ins Haus und die Treppe hinauf. Jemand anderes brachte sie in ihr frisch gemachtes Bett, legte ihr einen neuen Verband an und ließ sie dann allein.
Chloes erster Gedanke am nächsten Morgen war, daß es ewig dauern würde, bis ihre Haare nachgewachsen waren. Nachdem man sie noch vor Tagesanbruch geweckt und angezogen hatte, war sie dankbar, daß eine Sklavin ihren Arm einsalbte und ihr ein Kopftuch anlegte. Mit etwas Schminke würde sie sich beinahe menschlich fühlen.
Als Res goldene Finger Leben und Licht über Ägypten brachten, legten sie von der noch schlafenden Stadt ab und verließen Noph.
Sobald Chloe allein war, schrieb sie die Worte der Formel nieder. Was hatte sie zu bedeuten? In regelmäßigen Abständen betasteten ihre Finger den Skarabäus an ihrem Handgelenk. Er war fast schwarz gebrannt, doch waren die Umrisse des Käfers grün nachgezogen und die Flügel rot angemalt worden, während der Rest schwarz geblieben war. Mit einer an Kopf und Schwanz befestigten Seidenkordel war er fest um ihr Handgelenk gebunden. Chloe brannte immer noch der Weihrauchgestank in der Nase, und ihre Haare waren über Nacht zu Stoppeln nachgewachsen. Nie wieder, schwor sie sich, würde man ihr die Haare abscheren.
Punktum.
Nach dem Mittagessen ging sie auf dem Deck spazieren und ließ sich durch das schmucklose Leinenkleid hindurch von der Sonne den Rücken wärmen. Sie trug ein gefaltetes Kopftuch, das von einem Stirnreif mit ihren Amtsinsignien gehalten wurde, und hatte die Augen gegen die Sonne mit Bleiglanz nachgezogen. Je näher sie dem Großen Grün kamen, desto mehr Boote waren auf dem Fluß. Cheftu hatte sich auf der Backbordseite an einem Tisch niedergelassen und schien zu zeichnen. Der junge bärtige Sklave, den sie aus Noph mitgenommen hatten, saß neben ihm und kramte in einem Stapel Schriftrollen, als würde er nach etwas suchen. Dann tauchten am westlichen Horizont zwei Höcker auf, und Chloe ging auf die Backbordseite hinüber.
Cheftu sah sie überrascht an. »Herrin! Kannst du sprechen?« Sie schüttelte den Kopf und klappte dann den Mund auf, um es zu beweisen. Cheftus Blick fiel kurz auf das Amulett um ihr Handgelenk, dann sagte er: »Ich verstehe. Morgen vielleicht.«
Sie nickte und deutete auf die größer werdenden Hügel hinter ihm. Er sah sie an. »Die Pyramiden. Du hast sie doch gewiß schon gesehen?«
Chloe gab sich alle Mühe, sich ihre Aufregung nicht anmerken zu lassen. Die Pyramiden! Endlich etwas, das sie aus ihrer Welt kannte! Sie schüttelte verneinend den Kopf. Zweimal war sie in Kairo gewesen, doch beide Male hatte sie die Pyramiden nur aus der Ferne gesehen. Eines Tages wollte sie eine davon besteigen.
Cheftu sah sie an und zog die Stirn in Falten. »Ich dachte, Makab hätte dich hierher gebracht, nachdem eure Eltern zu Osiris geflogen waren?«
Sie schüttelte heftig den Kopf. Er mochte RaEm mitgenommen haben, aber Chloe konnte nichts davon in der Erinnerung der »anderen« entdecken. Cheftu schenkte ihr ein echtes Lächeln, bei dem die goldenen Augen aufleuchteten und die Zähne weiß aus seinem dunklen Gesicht strahlten.
»Deine mühsam gezügelte Begeisterung läßt mich vermuten, daß du sie gerne besichtigen würdest?«
Sie nickte aufgeregt und lächelte zum ersten Mal seit Tagen.
Er lachte leise. »Du überraschst mich immer wieder, Herrin. Wir haben keine Sänfte, wir müssen also zu Fuß gehen. Ich glaube, der Weg zu den Pyramiden ist trotzdem nicht allzu anstrengend. Sollen wir heute abend von der Spitze aus Re sterben sehen?«
Ihr Lächeln sagte mehr als alle Worte.
»Dann mußt du dich heute nachmittag ausruhen, Herrin.«
Chloe lächelte noch mal und wäre am liebsten zu ihrem Zelt zurückgehüpft. Wenn sie nur irgendwie ihr
Weitere Kostenlose Bücher