Die Prophetin von Luxor
leise, als die »andere« ihr mitteilte, daß sie auf Cheftus Mutter und Vater in ihrer Ba -Vogel-Gestalt blickte.
Seufzend ließ sie sich nieder. Ein Kissen zierte die schlichte, unvergoldete Liege, die mit frisch gebleichten Leintüchern bezogen war. Chloe verzog das Gesicht angesichts der Kopfstütze. Sie haßte diese verdammten Dinger und war es leid, ihre Kleider zusammenknüllen zu müssen, um sie auszupolstern. Dann berührte sie das Kissen, das unter ihren Fingern in sich zusammensank. Gänsedaunen. Gelobt sei Isis!
Es gab einen schlichten Frisiertisch und einen Stuhl, und in einer Ecke war ein Spielbrett aufgebaut. Frischer Lotosduft lag in der Luft, und die Sonne schickte ihr Licht durch die mit Latten versehenen Fensteröffnungen. Chloe blickte auf Baumwipfel und hörte melodisches Vogelgezwitscher. Wieder einmal empfand sie Cheftus Heim als Hafen des Friedens.
Eine Sklavin trat ein und führte Chloe aufs Dach hinauf. Zu ihrer Rechten lag Noph und vor ihr der Fluß, wo am Kai und flußauf- wie abwärts Boote vertäut waren. Sie sah schwer arbeitende Menschen auf den Feldern zu ihrer Linken - Feldern, die sich über viele Kilometer erstreckten. Die Sklavin stellte einen Leinwandschirm um die Wanne herum auf, und Chloe tauchte in das warme Wasser und ließ den Kopf nach hinten sinken, während die Sonne ihre Haut streichelte und die Frau ihr das Haar wusch.
Als ihre Finger schrumplig zu werden begannen, stieg Chloe aus der Wanne und wickelte sich in eines der bereitgelegten Leinentücher. Sie ging die Treppe wieder hinab, wo ihre Augen einen Moment brauchten, ehe sie sich an die Dunkelheit gewöhnt hatten. Unten saß eine zweite, diesmal ältere Frau, die eine Klinge schärfte. Sie kreuzte die Hand vor der ausladenden Brust und bat Chloe, sich zu setzen. Entsetzt sah Chloe zu, wie die Frau eine silberne Schere hervorholte und anfing, RaEms ebenholzschwarze Haare abzuschneiden.
Chloe wollte aufspringen, doch bei dem bloßen Gedanken daran schoß eine Woge lähmender Angst durch die »andere«. Falls sie sich weigerte, gab sie damit zu, ein Khaibit oder Kheft zu sein; vergleichbar einer Hexe aus Salem, die die heilige Kommunion verweigerte und dadurch ihr Schicksal besiegelte.
Reglos blieb Chloe sitzen, während ihr die Frau mit einem silbernen Rasiermesser den Kopf schor.
Dann rieb sie ein zu Kopf steigendes Parfüm in Chloes Haut - Weihrauchöl, dachte Chloe, während sie in ein schmuckloses weißes Gewand gehüllt wurde. Zum Glück hatte sie ihr gefälteltes Kopftuch, so daß sie nicht ganz so eierköpfig aussah. Die Frau zog Chloes grüne Augen mit einem roten Färbestift nach. Der Effekt war niederschmetternd; hinter der roten Farbe verblaßte die grüne Iris zu Grau.
Die »andere« erklärte ihr, daß Rot ein Symbol für Fleisch war, und da sie in den Tempel ging, um ihr Fleisch zu heilen, würde auf diese Weise ihrem Bedürfnis zusätzlich Ausdruck verliehen. Plötzlich zerriß ihr der Gedanke an Cammy fast das Herz; was hätte ihre Schwester nicht für zehn Minuten mit der »anderen« gegeben! Ich darf auf keinen Fall vergessen, ihr alles zu erzählen, wenn ich wieder zurück bin! An diesen tröstlichen Gedanken klammerte sich Chloe, während um sie herum rätselhafte Vorbereitungen getroffen wurden.
In der Abenddämmerung trafen sie am Tempel-des-Ka-Ptahs ein. Es war nach wie vor Winter, und eine frische Brise wehte durch den dünnen Umhang, den man Chloe gegeben hatte. Der
Tempel schien leer zu sein; doch hinter ihnen hörte Chloe den Widerhall von Stimmen. Der Tempel war ähnlich wie der in Karnak angelegt und wurde immer enger und dunkler, je tiefer sie vordrangen. Cheftu folgte ihr mit ein paar Schritten Abstand, als sie eine Ansammlung enorm hoher Säulen durchquerten, die mit so archaischen Hieroglyphen beschrieben waren, daß Chloe sie kaum entziffern konnte. Sie kamen an einen Querweg. Jetzt war es fast absolut dunkel. Sie warf einen Blick über die Schulter und sah Cheftus weiß leuchtenden Schurz und Kopfschmuck. Er machte eine Kopfbewegung nach links, und sie gingen weiter.
Ab und zu ließ das Miauen einer Katze oder das Glitzern eines Edelsteins in der Wand sie anhalten. Dann blieb Cheftu reglos hinter ihr stehen, so nahe, daß sie seine Wärme spüren konnte.
Schließlich traten sie in einen großen Raum mit drei Becken. Das Raumgefühl war unglaublich. Sie konnte nicht einmal bis zur gegenüberliegenden Wand sehen. Auch die Becken waren groß, selbst für jemanden, der sich
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