Die Prophetin
seinem unsichtbaren Gegner. Dann stand er einen Augenblick bewegungslos da, bevor er nach den lackierten Stöcken griff und sie so schnell herumwirbelte, als bereite er sich darauf vor, eine Parade anzuführen. Er ging in Kampfstellung, setzte einen Fuß vor den anderen, spreizte die Beine und beugte die Knie. Die Stöcke glitten langsam in einer Folge komplizierter Bewegungen durch die Luft. Zuerst drehte er den rechten Stock hinter dem Kopf, während er den linken wie ein Schwert vor sich schwang; dann stieß der erste Stock nach vorne, der zweite hob sich, wurde zu-rückgezogen, legte sich schräg vor den anderen, und beide bildeten ein X in der Luft. Das alles wirkte wie ein Mechanismus, der von verborgenen Zahnrädern und Gewichten in Gang gehalten wurde – zuerst langsam, dann schneller und immer schneller, zorniger und kraftvoller, bis Catherine hörte, wie die Stöcke pfeifend durch die Luft sausten und sie in unblutige Scheiben schnitten.
Garibaldi bedrängte seinen unsichtbaren Gegner mit den Stöcken. Sein Atem ging rauh und stoßweise, während er blitzschnelle, tödliche Schläge austeilte. Er sprang zur Seite, fing einen imaginären Hieb ab, sank auf ein Knie und schlug dem Feind mit beiden Stäben über die Beine. Dann sprang er auf, tänzelte wie ein Boxer auf den Fußballen, schlug hierhin, dorthin, steigerte das Tempo, wobei auch die Brutalität zu-nahm. Der Raum war erfüllt von seiner Kampfeswut, so daß Catherine den Atem anhielt und spürte, wie ihr Körper vor Spannung und Angst erstarrte.
Er übt diesen aggressiven Kampfsport, er hält sich fit, um zu töten. Warum? Wen will er töten?
Garibaldi schien einen Kampf gegen unsichtbare Mächte zu führen. Seine Übungen wirkten wie die Probe für ein persönliches Armageddon. Was gab ihm der Kampfsport, das ihm sein Katholizismus nicht geben konnte?
Wenn Gebete nicht wirken, werden es die Pangamot-Stöcke tun? Catherine wich von der Tür zurück und riß sich von einer Szene los, die sie früher einmal empört hätte, jetzt aber…
Sie hatte sich auf die Suche nach Antworten gemacht und war dabei auf noch größere Rätsel gestoßen.
Außerdem hatte sie etwas entdeckt, das sie in seiner Tragweite entsetzte. Ich hätte mich vor Abscheu ab-wenden sollen, statt dessen glühe ich vor sexueller Erregung.
Der Schrei drang in ihr Unterbewußtsein.
Catherine schreckte aus dem Schlaf auf und starrte verwirrt an die dunkle Zimmerdecke. Sie wußte nicht sofort, wo sie war. Dann warf sie einen Blick auf die Uhr neben dem Bett. Es war kurz nach Mitternacht.
Sie hatte nur ein paar Minuten geschlafen.
Sie lauschte in die Stille. Was hatte sie geweckt? Wieder ein Schrei. Ein gequälter Schrei. Sie setzte sich auf. War das Garibaldi?
Catherine lag schon im Bett, als er vor etwa einer Stunde aus dem Trainingsraum zurückgekommen war.
Sie hatte gehört, wie er leise in sein Zimmer ging und die Tür schloß. War jemand bei ihm?
»Laß mich in Ruhe! Warum verfolgst du mich?« Catherine sprang aus dem Bett und lief durch das Wohnzimmer, das die beiden Schlafzimmer der Suite trennte. An Garibaldis Schlafzimmertür blieb sie stehen und lauschte. Er keuchte und stöhnte, als sei er krank.
»Vater Garibaldi!« rief Catherine. »Fehlt Ihnen etwas?« Sie legte das Ohr an die Tür und glaubte, Schluchzen zu hören. »Vater?« Sie klopfte. »Vater Garibaldi?«
Catherine öffnete die Tür einen Spalt und blickte ins Zimmer. Mondlicht fiel durch das Fenster. Die Bett-decken lagen auf dem Fußboden. Garibaldi hatte offenbar einen Alptraum. Schweiß stand auf seiner Stirn.
Er warf den Kopf unruhig hin und her. Catherine sah sein gequältes Gesicht und trat ins Zimmer. »Vater Garibaldi?«
Er hatte die Augen geschlossen und biß die Zähne so fest zusammen, daß die Adern an seinem Hals hervor-traten. Er trug kein Hemd. Die Muskeln an Armen und Oberkörper waren verkrampft. Er schien wieder einmal mit unsichtbaren Dämonen zu ringen.
Catherine trat an das Bett. Sie legte Garibaldi die Hand auf die Schulter und schüttelte ihn sanft.
»Vater Garibaldi, Sie träumen. Wachen Sie auf.«
»Nein«, murmelte er. »Nein, nicht…«
Sie setzte sich auf den Bettrand. »Wachen Sie auf«, sagte sie laut.
»Sie haben einen Alptraum. Vater Garibaldi, bitte wachen Sie auf!«
»O mein Gott!« Er schlug die Augen auf.
»Sie haben geträumt«, sagte Catherine beruhigend. »Es ist alles gut. Es war nur ein Traum.«
Er holte tief Luft. Als er ausatmete, überlief ihn ein
Weitere Kostenlose Bücher