Die Prophetin
die Uhr. In Kalifornien war es kurz nach Mitternacht. Hoffentlich war Julius zu Hause und nicht im Institut bei einem seiner Tests, die manchmal die ganze Nacht dauerten. Catherines Plan stand fest. Zuerst würde sie Samir bitten, ihr Zelt zu bewachen, dann Julius aus dem Hotel Isis anrufen, danach Daniel in Mexiko und schließlich feststellen, mit welchem Flugzeug sie Ägypten so schnell wie möglich verlassen konnte. Die Abteilung für Altertümer in Kairo würde sie nicht anrufen.
Inzwischen sah die ganze Sache anders aus. Als sie die Zeltklappe zurückschlug, um hinauszugehen, hörte sie einen Motor aufheulen. Sie vermutete, daß einer ihrer Leute zum Einkaufen nach Scharm el Scheich fahren wollte, und ging um das Zelt herum. Aber als sie sah, daß Hungerford in seinem Jeep in Richtung der Hotels davonbrauste, verriet ihr die Staubwolke, daß er es offenbar sehr eilig hatte. Er wird reden!
In diesem Augenblick wußte Catherine, wenn das geschah, dann waren die Ausgrabung, der Fund und möglicherweise sogar ihre persönliche Sicherheit in großer Gefahr.
Santa Fe, New Mexico
»Erika! Erika, komm schnell!« Miles Havers nahm die Hand seiner Frau und zog Erika aus dem Sessel.
»Aber Miles! Ich bin doch gerade…«
»Das mußt du sehen, Liebling! Schnell, beeil dich!« Er lief mit ihr nach draußen und durchquerte dabei eine verglaste Veranda mit alten spanischen Möbeln und sehr bequemen Rattansesseln. Er machte so große Schritte, daß sie beinahe rennen mußte.
»Du wirst staunen!« rief er so laut, daß sich seine Stimme an der getäfelten Decke brach und von den wei-
ßen Wänden ihres beinahe tausend Quadratmeter großen Hauses aus Adobeziegeln widerhallte.
Erika lachte. Sie hatte keine Ahnung, welche aufregende Überraschung Miles ihr zeigen wollte. Bei ihrem Mann mußte sie auf alles gefaßt sein. Es konnte eine ungewöhnliche Wolkenformation oder ein neuer su-perschneller Mikrochip sein. Aber wie immer ließ sie sich sofort von seiner Begeisterung anstecken. In den dreißig Jahren ihrer Ehe hatte es keinen einzigen Augenblick der Langeweile gegeben.
Sie liefen über den riesigen Innenhof. Ein Chauffeur, der einen schokoladenbraunen Corvette ZR-I auf Hochglanz polierte – einen von dreiundzwanzig alten Corvettes aus Havers’ Sammlung –, hob erstaunt den Kopf. Dann eilten sie durch einen mit Buntglas gestalteten Bogengang, wo in Vitrinen Kultobjekte aus dem Zum Pueblo standen, kamen wieder ins Freie und liefen an dem privaten Golfplatz vorbei, wo Gärtner sorgfältig den frisch gefallenen Schnee entfernten, um den Platz wieder bespielbar zu machen.
Havers’ Sandalen klatschten laut auf den Saltillo-Fliesen. Das war ein vertrautes Geräusch auf dem Anwesen, denn der zweiundfünfzigjährige Miles Havers war ein begeisterter Jogger und trainierte zu jeder Tag-und Nachtzeit seinen immer noch sportlichen Körper.
Erika war wie er Anfang Fünfzig. Sie war eine zarte, feingliedrige und vornehm wirkende Frau, die so leichtfüßig ging, daß ihre Füße kaum den Boden zu berühren schienen, als sie ihrem Mann um den spanischen Brunnen aus dem fünfzehnten Jahrhundert folgte, den man Stein für Stein, Fliese um Fliese aus Mad-rid hierhergebracht hatte.
Schließlich wußte Erika, wohin er sie führte – in das Tropenhaus. Als sie die verschlossene Tür erreichten, gab Miles eine Geheimnummer ein, um das Schloß zu öffnen. Erikas Blick richtete sich unwillkürlich nach Westen zu den Sangre de Christo-Bergen, die an diesem kalten Dezembertag in weißen Schnee gehüllt waren. Erika lebte inzwischen bereits zehn Jahre hier, aber noch immer staunte sie über das unvergleichliche Blau des Himmels von New Mexico. Man hatte ihr gesagt, die intensive Färbung beruhe auf der gerin-gen Luftfeuchtigkeit.
Sie dachte verzaubert: Sangre de Cristo – Blut Christi – wirklich ein seltsamer Name für ein Gebirge…
Ein kalter Wind fuhr durch ihre kurzen aschblonden Haare, und ein Schauer lief ihr über den Rücken, als ihre Augen unwillkürlich in Richtung Golfplatz wanderten. Sie sah niemanden dort, aber sie wußte, sie waren da – die Wachen, die Miles um das sechzig Hektar große Anwesen hatte Stellung beziehen lassen, in dessen Herzen sich ihr fünftausend Hektar großes Gelände befand. Es war eine Vorsichtsmaßnahme, denn in diesem Monat kamen ungewöhnlich viele Menschen nach Santa Fe. Die Jahrtausendwende stand bevor, und Santa Fe galt als einer der heiligen Orte der Erde.
Die Bevölkerung der ganzen
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