Die Prophetin
Welt sah mit Spannung dem neuen Jahr entgegen, das in weniger als drei Wochen beginnen würde. Man rechnete mit Erdbeben, riesigen Überschwemmungen, schweren Naturka-tastrophen, und viele bereiteten sich sogar auf den Weltuntergang vor, bei dem die Heerscharen des Himmels die Mächte der Hölle besiegen würden. Hollywood, so hieß es, sei inzwischen eine Geisterstadt, da sich alle Stars aus Angst vor der großen Katastrophe in die sicheren Gebiete von Wyoming oder Montana und nach Manhattan zurückgezogen hatten.
Erika hingegen freute sich auf das neue Jahrtausend. In sehnsüchtiger Erwartung auf eine spirituelle Offenbarung für die Welt und für sie persönlich hatte sie das letzte Jahr mit den Vorbereitungen für das ›Fest des Jahrhunderts‹ zugebracht. Es wurden über tausend Gäste erwartet, darunter Verwandte, gute Freunde, Geschäftsfreunde, Berühmtheiten des gesellschaftlichen und religiösen Lebens, Präsidenten, Stars und gefeier-te Künstler. Sie alle sollten zugegen sein und als Zeugen in der Casa Havers die große Konvergenz erleben, auf die Erika und ihre New Age-Freunde hofften.
Die Tür des Tropenhauses glitt geräuschlos zur Seite, und Erika schlug heiße, feuchte Luft entgegen. Das Tropenhaus war, bescheiden ausgedrückt, eine Miniaturwelt. Über den Gerüchen von Erde, Dünger und Moder lagen die betäubenden Düfte von Narzissen, Nelken und Gardenien.
Miles führte Erika voll Stolz in seine Miniaturtropen, die er in der Steinwüste sechshundert Meter über dem Meeresboden geschaffen hatte. Sie gingen zwischen Beeten hindurch, in denen Ableger und aus Samen gezogene Pflanzen wuchsen; in anderen standen Gewächse bereits in voller Blüte oder waren mit Knospen übersät. In schattigen Grotten wuchsen üppige dunkelgrüne Farne und rankende Kletterpflanzen. Es hätte Erika nicht überrascht, das Krächzen von Papageien und das Geschnatter von Affen zu hören. Schließlich erreichten sie die Stelle, wo Miles seine seltenen Orchideen züchtete.
Er blieb stehen und flüsterte: »Da…«, als fürchte er, das empfindliche Gleichgewicht der Biosphäre zu stören. Als Erika die Blüte mit den mitternachtsblauen Blütenblättern und den schimmernden grünen Blättern sah, legte sie die Hand auf die Brust und hauchte: »Oh, Miles! Das ist unfaßlich…«
» Zygopetalum Blauer See«, sagte er triumphierend. »Es war nicht einfach, aber sie hat es geschafft.« Erika wußte, welche Mühe sich Miles gegeben hatte, diese besondere Orchidee zum Blühen zu bringen. Es war ein Abenteuer gewesen von dem Augenblick an, als er die Knolle bei einem Züchter in Kalifornien gekauft hatte. Manchmal schlief er sogar hier im Gewächshaus, um sein ›Kind‹ zu pflegen. »Man hat mir gesagt, es sei nicht möglich«, erklärte er mit bebender Stimme. »Und es ist mir doch gelungen! Das ist der Beweis, Erika, daß man mit wissenschaftlichen Methoden die barbarische Plünderung der Regenwälder aufhalten kann, die von geldgierigen und gewissenlosen Sammlern gefördert wird. Es ist möglich, hier in den Vereinigten Staaten gesunde Pflanzen unter künstlichen Bedingungen zu züchten! Das bedeutet, wir können in Zukunft den Dschungel in Ruhe lassen.« Erika sah ihn an, während er sprach. Sie spürte seine Begeisterung in der schwülen Luft. Schließlich legte sie lächelnd die Arme um ihn und drückte ihn an sich.
Das bewunderte sie an Miles am meisten. Er war ein guter, verständnisvoller Mensch, der den Mut hatte, für das zu kämpfen, was er als richtig empfand.
Gewiß, Miles hatte sich schon immer für die weltweite Erhaltung der Umwelt eingesetzt, aber seine besondere Leidenschaft galt der Rettung gefährdeter Pflanzen und Tiere. Im Augenblick kämpfte er auf einer höheren und sehr viel einflußreicheren Ebene. Sein Feldzug richtete sich besonders gegen Taiwan, dessen rücksichtslose Ausrottung mancher Pflanzenarten Miles dazu veranlaßt hatte, das Land öffentlich anzu-prangern. Deshalb unterstützte er die Bemühungen der USA, Taiwan die Mitgliedschaft in den Vereinten Nationen zu verweigern. Erst am Tag zuvor war er aus Washington zurückgekommen, wo er vor einem Senatsausschuß ausgesagt und strengere Gesetze zum Import seltener Pflanzen gefordert hatte. Er hatte alarmierende Zahlen vorgelegt, die bewiesen, daß der illegale weltweite Handel mit Orchideen, bei dem Sammler astronomische Summen für eine einzige Pflanze zahlten, die Dschungel ihrer natürlichen Flora so weit beraubten, daß einige Arten
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