Die Prophetin
neben dem Bett, daß Mitternacht gerade vorüber war. »Aus persönlichen Gründen, über die ich im Augenblick nicht sprechen möchte«, sagte sie leise, »kann ich diese Schriftrollen nicht der Polizei übergeben und auch nicht riskieren, daß sie Havers in die Hände fallen. Er würde sie in seiner Sammlung verschwinden lassen, und die Welt würde nie etwas davon erfahren.«
»Diese Frau, diese Sabina, spricht von Jesus!« Er sah Catherine an. »In welchem Jahr wurde dieser Brief geschrieben?«
»Ich habe eine Papyrusprobe in ein Institut in der Schweiz geschickt, damit man dort eine genaue Datierung vornimmt. Aber nach dem Griechisch zu urteilen, stammt der Brief aus dem zweiten Jahrhundert.«
»Zweites Jahrhundert? Sind Sie sicher?«
»Die Geschichte, die in den Büchern erzählt wird, ist vielleicht älter. Möglicherweise erstes Jahrhundert.
Sabina, die Perpetua die Geschichte diktiert, spricht von dem ›Gerechten‹. Ich glaube, damit könnte sie Jesus meinen.«
»Dann ist das hier…«, sagte er ehrfürchtig, »ein Bericht über das Leben unseres Herrn?«
Sie nickte. »Schon möglich. Und genau das muß ich herausfinden. Deshalb darf Havers die Schriftrollen nicht bekommen, denn sonst werden wir es nie erfahren.«
»Wie können Sie feststellen, in welcher Zeit sich die Geschichte ereignet hat?«
»Ich hoffe, in dem Text auf einen Anhaltspunkt zu stoßen, der eine genaue Datierung ermöglicht, etwa den Namen eines Kaisers oder eines Herrschers, einer historischen Gestalt, deren Lebensdaten bekannt sind.
Wenn Sabina zum Beispiel sagen würde, daß sie während der Herrschaft des Augustus geboren wurde, dann wäre sie eine Zeitgenossin von Jesus. Verstehen Sie jetzt, warum ich keine Zeit verlieren darf?« Garibaldi berührte mit dem Zeigefinger behutsam das erste Buch. »Warum dürfen Sie keine Zeit verlieren?«
»Wegen der Photos, die Danno hatte. Wenn Havers sie inzwischen übersetzen läßt, dann weiß er bald genug, um die siebte Schriftrolle zu finden!«
»Einen Augenblick! Es gibt eine siebte Schriftrolle?«
»Diese sechs erzählen nicht die ganze Geschichte. Es fehlt ein Buch.«
Catherine berichtete von der Stelle, die sich auf den Weltuntergang und das Jüngste Gericht bezog.
»Sabina sagt in ihrem Brief, daß sie den genauen Zeitpunkt der Wiederkehr Christi erfahren hat. Diese Informationen befinden sich wahrscheinlich in der siebten Schriftrolle. Deshalb hat man damals, im zweiten Jahrhundert, die siebte Rolle aus Sicherheitsgründen an einem anderen Ort versteckt.«
»Die Wiederkehr Jesu Christi«, murmelte er, und Catherine sah, wie seine Augen leuchteten. »Haben Sie eine Vorstellung, wo sich das siebte Buch befinden könnte?«
»Sabina rät Amelia, die Texte ›König Tymbos‹ zu übergeben. Haben Sie den Namen schon einmal ge-hört?« Er schüttelte den Kopf.
»Dann mache ich mich wohl besser an die Arbeit«, sagte sie und griff nach dem gelben Notizblock und einem Kugelschreiber. »Verstehen Sie, das alles ist inzwischen ein Wettlauf mit der Zeit, den entweder wir gewinnen oder Miles Havers.«
»Wir werden beide arbeiten«, sagte Garibaldi, nahm einen Stuhl und setzte sich an den Computer. »›Wir‹?«
fragte sie.
»Während Sie übersetzen, werde ich versuchen, eine Verbindung zum Internet herzustellen. Ich nehme an, der Computer hat ein Modem, denn Ihr Freund hat Online gearbeitet.«
»Danno hat viel über Internet gemacht.«
Garibaldi startete den Computer, aber Catherine unterbrach ihn: »Das müssen Sie nicht. Ich weiß, wie man mit dem Web arbeitet.«
»Daran zweifle ich nicht, aber wir können doppelt soviel erreichen, wenn wir uns die Arbeit teilen. Mein Altgriechisch ist nicht mehr das beste, ich kann besser mit einem Computer umgehen.« Er sah sie an. »Soll ich nicht?«
Ein Donnerschlag ließ das Motel erbeben. Catherine erschrak. Ein kalter Schauer lief ihr über den Rücken.
Sie blickte mit bleichem Gesicht auf Sabinas Geschichte und dachte plötzlich an ihre Mutter. Je nachdem, was Sabina in den Texten sagte, konnte sich alles ändern – auch ihr eigenes Leben. Sie dachte an Danno und an den reichen und mächtigen Havers. Sie hörte die Warnung von Julius noch einmal. Mit ihm konnte sie nicht mehr rechnen, auch wenn sie gehofft hatte, er werde ihr helfen. Das Schicksal hatte einen Priester als ihren Begleiter ausgewählt. »Ich danke Ihnen«, sagte sie zu Garibaldi. »Ich bin froh über alles, was Sie tun können.«
Er drehte sich um und klickte auf
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