Die Prophetin
Julius von all dem weiß, desto besser für ihn.« Danno ist meinetwegen umgebracht worden. Wenn Julius etwas zustoßen sollte…
Aber Julius war nicht zu Hause. Sein Anrufbeantworter meldete sich.
Hatte er ihre Nachricht gefunden und war allein ausgegangen? O mein Gott, hoffentlich ist ihm nichts passiert! Catherine verstellte ihre Stimme und sagte: »Dr. Voss, hier spricht Mrs. Meritites. Sie haben mir im vergangenen Jahr die Gallenblase entfernt. Ich wollte Ihnen nur sagen, daß es mir gesundheitlich ausgezeichnet geht. Sie müssen nicht zurückrufen, denn ich verreise und mache einen lange überfälligen Urlaub.
Ich werde Sie von unterwegs anrufen. Ich hoffe…«, sie holte Luft und sagte dann: »Ich hoffe, es geht Ihnen gut.« Als Catherine auflegte, sah Garibaldi sie verblüfft an. »Sie haben nicht mit Ihrer normalen Stimme gesprochen. Wie soll er wissen, daß Sie es sind?«
»Er weiß es.«
»Sie haben ihn nicht vor Havers gewarnt.«
»Doch«, sagte sie.
»›Mrs. Meritites‹?«
»Eine ägyptische Königin, die vor viertausend Jahren vermutlich an einem Gallenblasenleiden gestorben ist. Julius hat ihre Mumie untersucht. Es gab damals eine Art Skandal… Konkurrenzneid im Institut. Julius stellte später fest, daß sein Telefon abgehört worden war und daß man seine Aufzeichnungen ohne sein Wissen photokopiert hatte. Sein Bericht wurde von einem anderen Wissenschaftler veröffentlicht, bevor Julius seine Ergebnisse bekanntgeben konnte. Julius wird sich bestimmt an den Fall erinnern und wissen, daß sein Telefon wieder einmal abgehört wird.«
»Ich verstehe.« Garibaldi schwieg. Er sah sie erwartungsvoll an, und das gefiel Catherine überhaupt nicht.
Es erinnerte sie an schwüle Nachmittage im dunklen Beichtstuhl, während sie nervös darauf gewartet hatte, daß die Klappe hinter dem Sprechgitter zur Seite geschoben wurde. »Was wollen Sie wissen?« fragte sie schließlich. »Wollen Sie mir nicht sagen, was Havers so unbedingt haben möchte?«
Catherine stand auf, ging zum Fenster und öffnete den Vorhang einen Spalt. Draußen näherten sich Scheinwerfer. Unwillkürlich hielt sie die Luft an. Aber dann sah sie, daß es ein Lkw war, der auf dem Parkplatz wendete und in der entgegengesetzten Richtung weiterfuhr.
»Es ist besser für Sie, wenn Sie es nicht wissen«, sagte sie schließlich leise. Das kalte Glas beschlug unter ihrem Atem. Sie sah ihn hinter sich. Er war groß und hatte breite Schultern. Das schwarze Hemd und die Jeans erinnerten sie an ihre erste Reaktion, als sie ihm im Hotel Isis begegnet war. »Dr. Alexander«, er war ebenfalls aufgestanden und kam näher, »man hat mich angeschossen, und zwar aus einem Grund, den Sie mir nicht nennen wollen. Wenn die beiden Männer uns finden, werden sie wieder schießen. Ich würde zumindest gerne wissen, weshalb ich plötzlich als Zielscheibe diene.«
»Nehmen Sie den Wagen«, sagte sie und drehte sich um. »Bitte, fliegen Sie nach Chicago zurück. Vergessen Sie mich und alles was geschehen ist.«
»Tut mir leid, das kann ich nicht.«
In seiner Hartnäckigkeit glich er irgendwie Danno. Sie seufzte, schüttelte den Kopf und lächelte dann. »Al-so gut. Aber Sie müssen mir versprechen, keinem Menschen etwas von dem zu sagen, was ich Ihnen jetzt zeigen werde.«
Etwas zuckte in seinem Gesicht. War es Zorn oder vielleicht nur Mißtrauen?
»Ich gebe Ihnen mein Wort«, sagte er ernst. Catherine griff nach der blauen Tasche, ging damit zum Tisch, schob den Laptop zur Seite und öffnete den Reißverschluß. Kurz darauf blickte Garibaldi ungläubig auf sechs zusammengefaltete alte Papyri.
Sie berichtete ihm kurz von der Sprengung und dem ersten Fragment, der Entdeckung des unterirdischen Gangs, von dem Korb, den sie gefunden hatte, und schließlich von der Flucht mit den Schriftrollen aus Ägypten.
»Die Beduinenfrau, die Sie beschützen wollten, das war Danno. Ihr Eingreifen hätte uns beinahe verraten.«
Seine Augen hingen an den sechs Büchern. »Und dafür setzen Sie Ihr Leben aufs Spiel?«
»Ja.«
»Warum? Was steht in diesen Texten?«
»Ich weiß es noch nicht genau, obwohl ich etwas vermute.«
»Und was?«
Sie suchte in der Tasche und nahm einen Notizblock heraus. »Hier ist das, was ich bisher übersetzt habe.
Ich nenne es ›Sabinas Brief ‹.«
Garibaldi las schweigend die Übersetzung. Der Sturm nahm an Heftigkeit zu. Das Licht begann zu zucken, und in der Ferne donnerte es. Catherine sah auf der Digiataluhr des Radioweckers
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