Die Prophetin
griechische Alphabet. Einige Worte schienen öfter vorzukommen als andere – Λήελία, Σαβινα, Περπετνα. Buchstabe für Buchstabe übersetzte er die drei Worte: Amelia, Sabina, Perpetua.
Vornamen… Frauennamen?
Im Gegensatz zu vielen der in den Qumran-Höhlen gefundenen Schriftrollen handelte es sich hier nicht um das Inventar des Tempelschatzes oder um Bücher des Alten Testaments oder um die Gesetze eines Ge-heimbundes. Hungerford hatte Zeke berichtet, daß Catherine Alexander das ›Jesus-Fragment‹ als eine Art Brief identifiziert habe.
Handelte es sich um Briefe der Frühchristen? Bestimmt war da noch etwas. Das sagte ihm seine Intuition.
Er mußte unbedingt herausfinden, was es war! Und eines wußte er mit Sicherheit: Es blieb ihm nicht viel Zeit. Wenn diese Archäologin die Idealistin war, die er in ihr vermutete, dann konnte er sich ihren Plan bereits gut vorstellen. Dr. Alexander wollte die Schriftrollen übersetzen und den Inhalt aller Welt zugänglich machen. Vermutlich würde sie die Papyri einem Museum oder einer Universität übergeben, damit die Wissenschaftler und alle Interessenten sie in Augenschein nehmen konnten. Dieser Gedanke ließ ihn er-schauern.
Die Kopernikus-Tagebücher waren jahrzehntelang in einem Archiv verschollen gewesen, die Sonnenwend-Kachina hatte sich in der Obhut weniger ausgewählter Priester befunden, und diese Schriftrollen vom Sinai hatten in beinahe zweitausend Jahren nur zwei Menschen gesehen. Genau das machte sie für Miles so begehrenswert.
Etwas, das alle kannten, mit dem sich zahllose andere befassen konnten, besaß für ihn keinen Wert. Miles erschien nicht auf Auktionen, interessierte sich nicht für die Kataloge von Christie’s oder Sotheby’s. Etwas Verkäufliches wollte er nicht. Wenn andere diese Dinge kaufen, begutachten oder untersuchen konnten, verschwendete er keine Zeit damit. Aber etwas wie die eine Orchidee, die niemand zu Gesicht bekam, die niemand kaufen konnte oder von deren Vorhandensein kaum jemand etwas hnte, so etwas löste in ihm das Verlangen aus, es zu besitzen. Je seltener, je fragiler, je älter und – wie offenbar auch in diesem Fall – je heiliger etwas war, desto stärker wurde seine Besitzgier. Im Augenblick erfüllten die geheimnisvollen sechs Schriftrollen aus dem Sinai alle diese Kriterien. Aber wenn diese idealistische Archäologin sie der Öffentlichkeit zugänglich machte, dann würden sie für Miles verloren sein.
Sein Entschluß stand fest: Er mußte die Schriftrollen haben, bevor Dr. Alexander sie für ihn entwerten konnte. Aber wie sollte er sie finden?
Teddy Yamaguchi hatte seine elektronischen Überwacher aufgestellt. Deshalb kannten sie bereits die Leihwagenfirma, von der das Fluchtauto stammte. Dr. Alexander hatte ihrem Freund Stevenson gesagt, sie werde sich wie ein Kaninchen in einem Bau verstecken und die Schriftrollen übersetzen. Was würde geschehen, wenn sie schlau genug war, keine Kreditkarte zu benutzen?
Er ballte die rechte Hand zur Faust. Es mußte noch einen anderen Weg geben, sie zu finden. Welchen?
Was hatte er übersehen?
Der Summer der Bürotür riß ihn aus seinen Gedanken. Auf dem Monitor der Überwachungsanlage sah er seine Frau im Fährstuhl.
Erika trug einen pfirsischfarbenen Seidenmantel über einem weißen Spitzennachthemd. Ihr sonnengebräuntes Gesicht wirkte verschlafen. Die aschblonden Haare, so stellte Miles fest, trug sie offen über der Schulter. Das machte sie noch attraktiver und begehrenswerter.
»Ich bin aufgewacht, und du warst nicht da«, sagte sie, als er sie an der Tür begrüßte.
Er nahm sie in die Arme und küßte sie liebevoll.
»Entschuldige, mein Schatz, ich wollte dich nicht beunruhigen.«
Miles erledigte seine Geschäfte auf der ganzen Welt und rund um die Uhr, denn er hatte es oft mit anderen Zeitzonen zu tun.
Trotzdem vergewisserte sich Erika immer, daß alles in Ordnung war.
»Ich habe wieder einmal unruhig geschlafen«, sagte sie. »Schlaflosigkeit? Möchtest du nicht vielleicht doch mit Dr. Sanford darüber sprechen?«
»Nein, ich glaube, es liegt einfach daran, daß die Kinder über die Feiertage hier sind. Und…«, sie zögerte einen Augenblick, »und da ist die Sache mit Kojote.«
Miles runzelte die Stirn, als sie den Schamanen erwähnte. »Soll ich ihn auffordern zu gehen?«
»O nein! Ich möchte, daß er hier ist! Er wird mich morgen zu einem heiligen Platz auf der Cloud Mesa führen.«
»Ich wußte nicht, daß sich dort oben
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