Die Prophezeiung
und blätterte darin herum.
Katie hatte sich nie besonders für Geschichte interessiert. Das war Vergangenheit, pure Steinzeit, aber ein Zitat aus Professor Forsters Vorlesungen über Marcel Proust hatte sie dennoch behalten: Der Zweifel ist dein bester Freund.
Nein, sie wollte nicht daran glauben. Wie konnte Dave Yellad der Schlüssel zu alldem hier sein? Aber Robert war davon überzeugt und seit heute wusste sie, dass sie sich besser an Robert hielt, wenn sie Antworten auf ihre Fragen haben wollte.
Okay, der Mann war ziemlich weit herumgekommen: Afrika, Südamerika, Kanada. Er hatte Tausende von Pflanzen und Insekten gesammelt und katalogisiert, er hatte die höchsten Berge der Welt bestiegen … was ihn erst für Katie interessant machte.
So vertieft Katie auch in diesen Mikroausschnitt aus der Weltgeschichte war, ihr Gehör funktionierte in der Gegenwart noch ziemlich gut. Das leise Ping des Fahrstuhls ließ sie aufhorchen, und als sie sich zur Tür wandte, erkannte sie Tom – der Letzte, mit dem sie jetzt gerechnet hatte.
»Du hier?«, sagte sie und schloss schnell das Fenster auf dem Monitor.
Tom trug dieselben Klamotten, die er gestern angehabt hatte, und ausnahmsweise sah er mal nicht wie aus dem Ei gepellt aus. »Ich hab dich gesucht«, sagte er und seine Stimme klang nicht mehr ganz so affektiert, sondern nur noch müde.
»Ausgerechnet mich?«, fragte Katie und stellte sich schützend vor die Aktenordner. »Um diese Uhrzeit?«
»Ich komme gerade aus dem Krankenhaus. Von Benjamin. Sie haben … Er ist aufgewacht, Katie. Er hat mich sogar erkannt.« Katie sah mit Schaudern, dass seine Schultern anfingen zu beben. »Katie, ich wollte mich bei dir bedanken. Wenn du nicht so hartnäckig gewesen wärst …«, er schluchzte auf, »ich hab fast alles ruiniert. Du hast sein Leben gerettet.«
Katie unterdrückte ein Stöhnen. Gott, Drama-Boy war unterwegs. Und das auch noch um diese Uhrzeit! Er sollte sie bloß in Ruhe lassen.
Tom wischte sich übers Gesicht und schniefte. »Aber er wird mir nie verzeihen, was ich getan habe!«
Katie kapierte es nicht. Was hatte Tom denn gemacht, außer eifersüchtig zu sein, was Benjamin in seinem Zustand vermutlich noch nicht einmal mitbekommen hatte?
»Ich weiß, seine Filme sind ihm am wichtigsten, und ich …«
Die richtige Antwort auf Fragen zu finden, die man nicht verstand, war gar nicht so einfach. Und Katie hatte auch nicht die geringste Lust, es zu versuchen.
Tom stand da und starrte sie an. Oder war sein Blick auf den Bildschirm gerichtet, die Aufzeichnungen in den Aktenordnern?
Sie ging ein paar Schritte auf ihn zu und stellte sich direkt vor ihn an die Tür. »Mensch, Tom«, sagte sie. »Du bist völlig fertig. Geh ins Bett und ruh dich aus.«
»Aber ich hab sie zerstört – ich hab Bens Filmaufnahmen zerstört. Wenn ihr seinen Film gehabt hättet, wärt ihr vielleicht viel schneller daraufgekommen, dass er diese Pilze gegessen hat.«
Nach den Erlebnissen dieses Tages brauchte es eine Weile, bis Katie es wirklich verstand. Aber dann kapierte sie. »Du hast den Kamerachip zerstört?«, fragte sie verblüfft. Irgendwie wollte ihr Tom als genialer Computerhacker überhaupt nicht in den Sinn.
»Na ja, so war es nicht ganz«, gab Tom zu. »Laura aus dem zweiten Jahr hat es für mich gemacht. Die mit den dunkelbraunen Korkenzieherlocken.« Vor Katies innerem Auge erschien vage das Bild einer Studentin, die meist Strickjacken trug und, da hatte Tom recht, ständig im CD anzutreffen war. »Ich wollte Benjamin einfach treffen, wo es ihm wehtut, verstehst du nicht?«
Nein, das verstand Katie nicht. Und ehrlich gesagt hatte sie auch keinen Nerv für weitere weinerliche Beichten von Benjamins Lover.
»Vergiss es einfach, Tom, und geh ins Bett. Es geht ihm gut, das ist das Wichtigste.«
»Meinst du wirklich …«, begann er noch einmal, aber Katies Blick ließ ihn verstummen.
Tom zögerte, doch dann wandte er sich um. Sie sah ihm nach, wie er in den Aufzug stieg.
Mit einem Aufseufzen drehte sich Katie um.
Und im selben Augenblick erstarrte sie.
Die Aktenordner, die an ihrem Arbeitsplatz gelegen hatten – sie waren wie vom Erdboden verschluckt.
Dafür war ihr Stuhl nicht länger leer. Eine lässige Gestalt lehnte darauf und schaute sie gespannt an.
Katie hatte sie das letzte Mal auf dem Ghost gesehen und sie nannte sie nur den Duke.
»Hi, Katie.«
Er trat auf sie zu und stand nun direkt vor ihr. In dieser lässigen und dennoch leicht überheblichen
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