Die Prophezeiung
Studenten – nun, es war nicht länger ein Geheimnis.
Grace war dort oben auf dem Berg umgekommen und diejenigen, die dabei waren, hatten unvorstellbar grausam gehandelt. Milton und Paul waren tot. Ihre Mutter Mi Su Eliza Chung lebte in Washington D. C. und Katie wusste nun, warum sie das Tal zeit ihres Lebens totgeschwiegen hatte. Mark de Vincenz, Julias und Roberts Vater, lebte in London. Und was Martha, Frank und Kathleen betraf, so könnte es ihr einfach am Arsch vorbeigehen, was mit ihnen geschehen war.
Wenn die Prüfungen vorbei waren, gab es für sie nur eine Lösung. So schnell wie möglich nach Washington und zu Sebastien zurückzukehren.
An ihre Eltern mochte sie zu diesem Zeitpunkt nicht denken.
Sie wechselte in den Schaukelstuhl. Zum wohl hundertsten Mal blätterte sie durch den zweiten Aktenordner, den Robert mitgebracht hatte. Immer wieder stieß sie auf neue Berichte, manche belanglos, manche erschütternd. Und auf den Namen Dave Yellad.
Aber dass sie wirklich verstand, davon konnte keine Rede sein. Nichts war gelöst. Es waren einfach nur unzählige neue Fragen aufgetaucht. Und die drängendsten von ihnen waren:
Wer hatte sie ins Tal geholt, wer spielte mit ihnen dieses Spiel, das nicht enden wollte? Denn dass ihre Anwesenheit hier kein Zufall war, das konnte Katie nun nicht länger verleugnen. Nicht, nachdem sie das von Mark de Vincenz wusste, Julias und Roberts Vater. Was war mit den anderen? Was war mit Benjamin? Gab es auch bei ihm einen Zusammenhang, eine Verbindung zu einem der damaligen Studenten?
Und was war mit Professor Brandon? Welche Rolle spielte er? Bei ihm hatten die anderen am Remembrance Day Filmrollen gefunden, die bewiesen, dass er mit den verschollenen Studenten eng befreundet gewesen war. Andererseits hatte er sich damals im November nicht so verhalten, als wüsste er, was hier gespielt wurde. Und war er der einzige Dozent hier im Tal, der schon im Jahr 1974 hier oben gewesen war?
Katie blickte auf ihr Handy. Es war 04:50 am Morgen.
Entschlossen stand sie auf und streifte sich eine Kapuzenjacke über. Sie packte die Aktenordner und schlich sich aus dem Apartment, in dem nur noch Rose schlief. Julia war wie immer in das Apartment ein Stockwerk tiefer zu Chris geflüchtet.
Die Tür schnappte leise hinter ihr zu und sie wandte sich nach rechts. Vor dem Aufzug blieb sie kurz stehen. Es wäre der schnellste Weg hinunter ins Computer Department, aber sie brachte es nicht über sich, in die enge Kabine zu steigen. Was an sich lächerlich war, wenn sie daran dachte, wie sie ihre Angststörung in den engen Gängen des unterirdischen Labyrinths einfach vergessen hatte.
Aber jetzt kehrte die Angst mit aller Macht zurück.
Nun, Katie hatte nichts gegen Treppen. Auch wenn sie sie lieber nach oben ging als nach unten. Diese hier nahm sie im Laufschritt. Als sie im Erdgeschoss war, wandte sie sich nach rechts, wo sie nach zahlreichen Glastüren in der Haupthalle landete.
Das Büro der Security war erleuchtet und – leer.
Noch zwei Treppen hinunter in das zweite Untergeschoss und nach rechts den Flur entlang.
Der Raum lag in völligem Dunkeln und sie beließ es dabei. Für das, was sie vorhatte, brauchte sie keine Festbeleuchtung. Sie schaltete den ersten PC an, vor dem sie stand, und legte die Aktenordner daneben. Er fuhr hoch und das schwache Licht des Monitors reichte aus, dass sie die Aufschrift Grace Dossier erkennen konnte.
Sicherheitshalber schloss sie die Tür zum Flur.
Ihre erste Suchanfrage galt Dave Yellad.
Wie Robert gesagt hatte, gab es nicht allzu viele offizielle Einträge. Wikipedia war nun mal nicht die Bibliothek von Alexandria und schon gar nicht die Library of Congress in Washington, eine der größten Bibliotheken der Welt. Aber immerhin hatte sie den Namen Dave Yellad verzeichnet, Duke of Dunbar.
Wie merkwürdig, dass er den Titel Duke trug. Aber – wie ihre Mutter sagen würde – die Wege Buddhas sind unergründlich. Oder verwechselte sie da etwas? Nun, das war vermutlich eine natürliche Folge, wenn man als Zwitterwesen zwischen verschiedenen Kulturen aufgewachsen war.
Sie fand nichts Neues heraus. Außer, dass er keine Nachkommen hatte – zumindest keine, die bekannt waren. Und damit war sein Besitz in Schottland an die englische Krone gefallen. Pech für ihn, aber wenn er tot war, konnte es ihm schließlich auch egal sein, oder?
Kartograf, Reisender, Abenteurer. Das alles passte.
Und was war mit dieser Formel?
Sie zog den Aktenordner zu sich
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