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Die Prophezeiung der Nonne: Roman (German Edition)

Die Prophezeiung der Nonne: Roman (German Edition)

Titel: Die Prophezeiung der Nonne: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Bilyeau
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des Königs sollen sie auf dem Tower Hill enthauptet werden. Seine Majestät hat ihnen ihre letzte Bitte gewährt, gemeinsam zu sterben. Ich werde der Hinrichtung beiwohnen. Und Ihr ebenfalls, Joanna Stafford. Lady Maria möchte, dass Ihr sie vertretet, und genau das werdet Ihr tun. Wir werden das bis zum Ende durchstehen, Ihr und ich.«

Kapitel 30
    Als ich damals im Tower of London gefangen gesessen hatte, hatte ich den Festungsgraben von meiner Kerkerzelle aus nicht sehen können. Doch am Morgen der Hinrichtung hatte ich ihn stundenlang vor Augen: einen Ring stinkenden schlammigen Wassers, von kahlen Ästen gesäumt. Auf der anderen Seite der Mauer war alles peinlich gepflegt. Dass der Graben so vernachlässigt war, musste einen Sinn haben – im Tower hatte alles einen Sinn –, doch ich konnte ihn nicht erkennen.
    Noch vor Morgengrauen hatte es zu regnen begonnen. Als ich auf dem Tower Hill stand, war aus dem Wolkenbruch eine beständig strömende Flut geworden. Der Graf von Surrey fluchte hinter mir. Er trug sein bestes Barett, mit einer Straußenfeder geschmückt,die im Regen immer unansehnlicher wurde. Wie viele junge Männer fürchtete Surrey nichts mehr, als lächerlich zu wirken.
    Der Regen rann über das faltige Gesicht des Herzogs von Norfolk. Er durchweichte seinen weißen Pelz, doch seine Amtskette und die goldene Medaille strahlten in ungemindertem Glanz. Als ich vor Howard House ein Pferd bestiegen hatte, hatte er gesagt: »Haltet den Kopf gesenkt. Schließt die Augen, wenn Ihr es nicht ertragen könnt. Ich will kein Weibergeflenne hören.«
    »Ich werde nicht weinen«, entgegnete ich. »Es ist nicht das erste Mal, dass ich einen Menschen mitten in einer grölenden Menge sterben sehe.«
    Wir standen auf dem Hügel, der sich über den Tower erhob. Hinter uns lag die Stadt. Die All-Hallows-Barking-Kirche und eine Häusergruppe markierten die Grenze zwischen London und dem Tower-Bezirk. In großer Zahl strömten die Menschen herbei und drängten sich um das hohe, strohbedeckte Gerüst, auf dem bald Henry Courtenay und Baron Montague sterben würden. Ich sah viele Amtsketten und Pelze. Diese Menge hier hatte keinerlei Ähnlichkeit mit dem johlenden Mob, der sich damals zu Margarets Verbrennung eingefunden hatte. Niemand lachte, niemand grölte, aber ich bildete mir nicht einen Moment lang ein, dass diese Leute trauerten.
    Ich ignorierte sie alle, um mich ganz auf mein Gebet zu konzentrieren. Henry Courtenay war für schuldig befunden worden, den Sturz des Königs und die Verheiratung seines Sohnes Edward mit Lady Maria geplant zu haben. Ich wusste, dass das eine gemeine Lüge war. Gertrude war nicht vor Gericht gestellt worden, doch weder sie noch ihr Sohn wurden auf freien Fuß gesetzt. Was Montague anging, so hatte seine angebliche Sympathie für die monarchiefeindlichen Überzeugungen seines Bruders, des Kardinals Reginald Pole, herhalten müssen, um ihn schuldig zu sprechen.
    Ich richtete mich höher auf. Ich würde stehen, ohne zu wanken – ich würde Henry Courtenay und Montague nicht im Stich lassen.
    Und ich würde auch Bruder Edmund nicht im Stich lassen. Ich hatte einen Plan zu unserer Befreiung aus der Knechtschaft Norfolks und Gardiners. Die Möglichkeit, dass er Erfolg haben würde, war gering, und wenn er misslang, würde das meine ohnehin elende Lage noch verschlimmern. Aber ich würde es versuchen, bevor ich den Tower Hill verließ, koste es, was es wolle.
    Ich hörte jemanden mit Norfolk Französisch sprechen, und als ich mich umdrehte, blickte ich in das Gesicht von Eustace Chapuys, des Botschafters am Hof Kaiser Karls.
    »Seine Majestät muss natürlich Verräter bestrafen – doch Anlässe wie dieser können traurig sein«, sagte Chapuys. Ich wartete darauf, dass er sich der Hofdame erinnern würde, die Katharina von Aragón während ihrer letzten Lebenswochen im Exil betreut hatte. Doch er verneigte sich nur mit der oberflächlichen Höflichkeit, die man einer unbedeutenden Frau von vornehmer Geburt wohl oder übel zu zollen hat, und entfernte sich.
    Eine Gruppe Männer hinter mir begann zunehmend lauter zu sprechen. »Gesegnet der Gott, der seine Hand über England hält und Euch erkoren hat, uns von diesen gemeinen Verrätern zu befreien, Lord Cromwell«, sagte jemand.
    Cromwell .
    Ich hätte mit seiner Anwesenheit rechnen, mich darauf vorbereiten müssen. Er war der höchste Minister des Königs, er hatte diese Verhaftungen eingefädelt. Wenn ich mich jetzt umdrehte und Cromwell

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