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Die Prophezeiung der Nonne: Roman (German Edition)

Die Prophezeiung der Nonne: Roman (German Edition)

Titel: Die Prophezeiung der Nonne: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Bilyeau
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ins Gesicht blickte, würde mich das vielleicht in meiner Standhaftigkeit schwächen. Trotzdem, ich wollte diesem Feind alles Guten und Wahren ins Auge sehen.
    Die Hand an meinem Kruzifix, drehte ich mich um.
    Ein halbes Dutzend beflissener Höflinge scharte sich um einen gedrungenen, breitschultrigen Mann mittleren Alters in nüchterner schwarzer Kleidung. Zunächst war mir der Blick auf sein Gesicht versperrt, aber dann trat ein Mann zur Seite, und ich sah es. Cromwell war keine zehn Fuß von mir entfernt.
    Wie hässlich er war! Er hatte die schwammige weiße Haut eines Menschen, der selten an die frische Luft geht, und er war dick, einMann, der der Völlerei huldigte. Sein Doppelkinn fiel faltig auf seinen Kragen hinunter, und darüber wölbten sich wulstige Lippen. Seine dicht beieinanderliegenden grauen Augen ruhten unverwandt auf dem Geistlichen, der mit ihm sprach.
    Wie ein sprudelnder Quell aus der Erde wallte unversehens ein Gedanke aus meiner Seele auf:
    Ich verfluche dich, Thomas Cromwell, Mörder, Ketzer und Zerstörer. Ich bete zu Gott, dass ich diejenige sein werde, die dich eines Tages zu Fall bringt .
    Die Gewalt meines Hasses bestürzte mich, doch sie befeuerte mich auch. Könnte ich nur den letzten Teil der Prophezeiung entschlüsseln, um zu erfahren, ob ich es sein würde, die Thomas Cromwell sein Ende bereitete.
    Gerade als Norfolk den Arm ausstreckte, um mich herumzureißen, wanderte Cromwells Blick von dem Geistlichen zu mir. Es war, als hätte er meinen Hass gespürt. Unsere Blicke trafen sich höchstens drei Sekunden lang. Doch in diesem flüchtigen Augenblick musterte er mich mit so durchdringender Schärfe, dass mir der Atem stockte und der Tower Hill sich unter meinen Füßen zu senken schien.
    »Starrt ihn nicht so an«, zischte Norfolk, als ich den Blick wieder zum Blutgerüst hinaufrichtete.
    Ich schöpfte tief Luft und gewann meine Fassung wieder.
    Nicht Cromwell selbst trat wenig später zu uns, um herauszufinden, wer ich war. Thomas Wriothesley – ein dünner Mann mit langem rotem Bart – plauderte mit Norfolk und Surrey, sichtlich in Erwartung, mit mir bekannt gemacht zu werden.
    »Das ist Joanna Stafford«, bemerkte Norfolk schließlich wie nebenbei.
    »Ah, ja«, sagte Wriothesley, der Ehemann der Frau, die mir auf Gertrudes Gesellschaft begegnet war. Er trat zu mir und sah mich erwartungsvoll an. Als ich schwieg, verneigte er sich kurz und ging wieder.
    »Jetzt berichtet er Cromwell«, murmelte Surrey.
    Norfolks ärgerlicher Fluch ging unter im plötzlichen Raunender Menge. Alle blickten zur Themse hinunter. Oberhalb der Mauer, die den Weg zum Middle Tower begrenzte, bewegte sich eine Fahne in Richtung Tower Hill. Gleich darauf sah ich die erste Gruppe Tower-Wachen hinter der Mauer hervortreten. Ihr folgte Sir William Kingston, der Gouverneur des Tower, der mich noch jetzt in meinen Albträumen heimsuchte. Weitere Wärter erschienen, und schließlich Henry Courtenay und Baron Montague.
    Während sie den Pfad zur Höhe des Tower Hill hinaufschritten, konnte ich deutlich sehen, was ein Monat Kerker ihnen angetan hatte. Henry Courtenay, der voranging, war stark abgemagert. Man hatte ihm trotz der Kälte nicht erlaubt, ein Wams zu tragen. Er war nur in ein weißes Unterhemd und eine dunkle Strumpfhose gekleidet, die mit einem Strick um seine Mitte gegürtet war. Das Hemd war schon durchweicht vom Regen und klebte ihm am Körper. Unmittelbar hinter ihm ging Baron Montague, ebenfalls nur in Unterhemd und Strumpfhose. Sein Gesicht war so eingefallen, dass es aussah, als schwebte ein Geist den Hügel hinauf. Als er näher kam, konnte ich erkennen, dass sein Hemd über der grau behaarten Brust zerrissen war. Es war schrecklich, diese beiden Edlen des Reiches in solchem Zustand zu sehen.
    Zwei Männer näherten sich der Gruppe, als sie das Gerüst erreichte – Sheriffs der Stadt London. Ein Schriftstück wechselte die Hände. Ein Priester stieg als Erster die Stufen zum Schafott hinauf, gefolgt von den beiden Sheriffs. Der Vierte in diesem tödlichen Bund war der Henker, ein schwarzgekleideter, kräftiger Mann mit einer ebenfalls schwarzen Maske, die, bis auf zwei Augenschlitze, seinen ganzen Kopf verhüllte. Die Ausgeburt eines Fiebertraums.
    Nun war für die zwei Verurteilten der Moment gekommen, zum Gerüst hinaufzusteigen.
    Von Hunderten beobachtet, erklomm Henry Courtenay langsam Stufe um Stufe. Drei Stufen unterhalb des Gerüsts blieb er stehen. Baron Montague folgte ihm schnell. Er

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