Die Prophezeiung der Nonne: Roman (German Edition)
»Seht weg, Joanna.«
Kapitel 31
Montague schloss die Augen, ich schloss meine nicht. Der Henker trat schweren Schrittes vor. Ich konnte seine Augen hinter den Schlitzen der Maske erkennen – wie sie Maß nahmen. Er schwang das Beil hoch über seinen Kopf. Die blutige Klinge blinkte im trüben Licht. Dann fiel sie herab.
Was ich sah, brannte sich für immer in meine Seele ein.
Danach sackte ein Fremder den abgetrennten Kopf Montagues ein. Wärter schleppten den Leichnam nach hinten. Die Treppen knarrten, als der Priester, der Henker und die Sheriffs hinunterstiegen. Andere Männer liefen hinauf, um die Kisten mit den Leichen abzuholen. Ich wusste, dass alles unmittelbar in meiner Nähe geschah, doch ich war weit weg. Ich hätte eine der grauen Möwen sein können, die über dem Tower of London kreisten.
Charles stieß mich an. »Miss Stafford?« Sein Ton verriet mir, dass er schon mehrmals versucht hatte, mich anzusprechen.
Ich konnte nichts sagen.
»Wir beerdigen sie jetzt. Der Sheriff hat uns die Erlaubnis erteilt. Möchtet Ihr mitkommen?«
»Was?«, fragte ich.
»Die Kirche dort – « Er wies zur Stadt. »All Hallows Barking. Dort werden sie fürs Erste ruhen.«
Mit Mühe nickte ich.
Der Nächste, der mich ansprach, war Surrey. »Joanna, wir müssen – Allmächtiger, Ihr seid ja voller Blut.«
Er zog mich ein Stück hinter das Gerüst und suchte in seinem Wams nach einem Tuch. Sein Blick war voller Mitleid, als er mit eigener Hand mein Gesicht reinigte. Männer rundherum starrten mich an. Tuscheln umgab uns. Ich hörte jemanden »Stafford« sagen. Er beachtete das alles nicht, hielt seine Aufmerksamkeit einzig auf mich gerichtet, während er mir das Blut von den Wangen wischte. Wäre ich irgendeines Gefühls fähig gewesen, so hätte ich bedauert, was ich Surrey gleich antun würde.
»Gehen wir«, schrie Norfolk von Weitem.
»Nein«, sagte ich.
Widerwillig kam er näher. Ich bemerkte seinen Blick zum Schafott. Eben wurden die Kisten mit den Leichen Courtenays und Montagues die Treppe hinuntergetragen.
»Ich reite direkt zum Hof«, sagte Norfolk zu seinem Sohn. »Der König muss sehen, dass ich präsent bin. Bring sie nach Howard House und komm dann nach.«
»Nein«, sagte ich noch einmal.
»Ihr tut, was ich sage«, herrschte Norfolk mich an. »Morgen bringen meine Leute Euch nach Stafford Castle.«
Ich fasste den geschlitzten Brokatärmel des Grafen von Surrey. »Ich muss Euch etwas sagen, Sir. Es handelt sich um Eure Tante, Margaret Bulmer. Gerade Ihr müsst es erfahren. Sie ist damals aus einem ganz bestimmten Grund nach Nordengland gegangen. Es hatte mit Eurem Vater zu tun.«
Norfolk packte mich. Er bedeutete Surrey zu bleiben, wo er war, und zog mich ein Stück weg.
»Habt Ihr den Verstand verloren, gerade jetzt – und hier – ihren Namen zu nennen?«, fragte er wutschnaubend.
»Eurem Sohn ist es verhasst, wenn die Leute hinter Eurem Rücken tuscheln, dass Ihr ein Kuppler seid«, sagte ich. »Wie würde er sich wohl fühlen, wenn ich ihm erzähle, dass Ihr Margaret dem König zuführen wolltet, als Mätresse – und dass sie nur aus diesem Grund vom Hof geflohen ist?«
Nach seiner Miene zu urteilen, musste er so entsetzt sein wie ich gewesen war, als Gertrude Courtenay den Namen George Boleyns genannt hatte.
»Das stimmt nicht«, sagte er.
Mein Vater hatte mir Margarets Geheimnis wenige Tage vor seinem Tod anvertraut. Doch seinen Namen würde ich vor Norfolk nicht aussprechen. Ich log.
»Margaret hat mir einen Brief geschrieben, in dem sie mir alles erzählt hat«, sagte ich, bemüht, kühl und ruhig zu sprechen. »Ich habe ihn nie einem Menschen gezeigt, weil mir ihr Andenken teuer ist. Doch ich werde alles öffentlich machen, wenn Ihr mich heute nicht hier zurücklasst.«
Norfolk lächelte tatsächlich – ein gefährliches Lächeln. Der Schmerz über die Hinrichtungen, den ich ihm eben noch angesehen hatte, war in mörderische Wut umgeschlagen.
»Deshalb ließ der König Margaret einen so gnadenlosen Tod sterben«, sagte ich. »Ohne Euch wäre es nie so weit gekommen. Ohne Euch wäre sie niemals nach Nordengland gegangen, hätte sich niemals in den Aufstand dort verwickeln lassen. Ihr habt Margaret schon getötet, ehe sie sich überhaupt gegen den König erhob. Und ich finde, Euer Sohn und Eure Gemahlin sollten das wissen.«
Norfolk neigte sich mir entgegen und sagte mit eiskalter Klarheit: »Ihr wisst offenbar nicht, wem Ihr Euch entgegenstellt.«
Ich sah ihn an, diesen
Weitere Kostenlose Bücher