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Die Prophezeiung der Nonne: Roman (German Edition)

Die Prophezeiung der Nonne: Roman (German Edition)

Titel: Die Prophezeiung der Nonne: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Bilyeau
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sprach. Er wollte mir nicht predigen. Wir würden gemeinsam beten.
    Und so kamen die Worte im Gleichklang über unsere Lippen. »Wende dein Ohr mir zu, höre mein lautes Flehen! Würdest du, Herr, unsere Sünden beachten, Herr, wer könnte bestehen? Doch bei dir ist Vergebung, damit man in Ehrfurcht dir dient. Meine Seele wartet auf den Herrn, mehr als die Wächter auf den Morgen.«
    Als wir geendet hatten, standen wir auf und schritten schweigend durch die Kapelle. Aller Schmuck war ihr genommen worden. Doch unter der letzten Bank entdeckte ich im Licht der Kerze, die ich trug, einen schlichten Holzbecher.
    Ich blieb stehen.
    »Der Kelch«, sagte ich.
    Bruder Edmund runzelte die Stirn. »Was?«
    »Das habe ich Euch gar nicht gesagt – ich hatte es fast vergessen –, aber das war das Letzte, was Schwester Elizabeth Barton gesprochen hat. Sie hat gerufen: ›Der Kelch‹.«
    »Der Kelch ist das heiligste der heiligen Gefäße, denn er wird zur Feier der Messe gebraucht«, sagte Bruder Edmund langsam. »Vielleicht muss die Prophezeiung erfüllt werden, um den Kelch zu schützen – und die Messe.«
    Mit klopfendem Herzen entgegnete ich: »Ich glaube nicht, dass sie es so gemeint hat. Ich kann es Euch nicht erklären, aber es warwie – wie eine Warnung.« Und dann rief ich: »Oh, Bruder Edmund, ich fürchte mich. Ich will nicht, dass mir das geschieht. Ich habe es nie gewollt.«
    Bruder Edmund nickte. »›Und Jesus sprach: Vater, willst du, so nimm diesen Kelch von mir.‹«
    »Gethsemane«, flüsterte ich.
    Bruder Edmund fuhr fort: »Dort betete Christus, denn er war voll Furcht vor dem, was, wie er wusste, kommen würde. Gott erschien ihm und Jesus sprach: ›Vater, willst du, so nimm diesen Kelch von mir; doch nicht mein, sondern dein Wille geschehe.‹«
    Bis ins Tiefste aufgewühlt wandte ich mich ab.
    Bruder Edmund legte mir die Hand auf die Schulter. »Ihr sollt wissen, dass ich alles in meiner Macht Stehende tun werde, um Euch zu helfen. Ich möchte nicht, dass Ihr dies allein durchsteht, Schwester Joanna. Ich werde immer für Euch da sein.«
    »Ja«, sagte ich.
    »Jeder hat Euch gesagt, dass Ihr die Prophezeiungen von drei Sehern hören müsst – dass der dritte Euch sagen wird, was Ihr tun müsst. Aber Ihr könnt sie nur aus freiem Willen und ohne Zwang empfangen. Wenn Ihr Euch also entscheidet, den dritten Seher nicht zu hören, ist es jetzt vorbei.«
    Ich erschrak vor dem Blick brennenden Verlangens in Bruder Edmunds Augen. Ich wusste, mit welcher Leidenschaft er sich die Rückkehr in unser altes Leben wünschte. Und dennoch schreckte ich vor meiner Bestimmung zurück. Zorn ergriff mich – warum musste diese Bürde mir aufgeladen werden?
    Als hätte Bruder Edmund meine Gedanken gelesen, sagte er: »Ihr seid zu einer großen Aufgabe auserwählt worden. Aber nicht nur, weil Ihr aus vornehmer Familie stammt und das Gelübde der Dominikanerinnen abgelegt habt. Ihr seid auserwählt, weil Ihr die seid, die Ihr seid, Schwester Joanna. Ihr seid eine Frau wie keine andere. Ich habe versucht, diese Eigenschaft zu definieren, die Euch zu etwas Besonderem macht. Es ist mir nie ganz gelungen.«
    Zitternd vor innerer Bewegtheit starrte ich Bruder Edmund an. Ich verstand nichts.
    Bruder Edmund meinte endlich, wir seien beide erschöpft und sollten das Gespräch lieber am Morgen fortsetzen. Er führte mich ins Kalefaktorium, die Wärmestube des Klosters, wo, wie in jedem Kloster, zwischen Allerheiligen und Karfreitag immer ein Feuer brannte, um den Gläubigen Wärme zu spenden. Während ich wartete, holte er Brennholz und einen Strohsack, auf dem ich schlafen konnte. Er meinte, ich solle die Nacht hier verbringen, in der Nähe des Feuers; er selbst werde in einem der anderen Zimmer nächtigen.
    Er schichtete das Anmachholz in die flache viereckige Mulde im Boden des Kalefaktoriums, und bald hörte ich den ersten seufzenden Hauch des sich entzündenden Feuers und dann das eifrige Wispern der ersten Flammen. Das Holz knisterte und knackte. Strahlen zuckten auf wie goldene Speere und erfüllten das Zimmer mit Licht.
    Etwas entfernt auf dem Fußboden sitzend beobachtete ich das Spiel von Licht und Schatten auf Bruder Edmunds Gesicht. Er lehnte sich mit einem Nicken zurück und drehte sich halb zu mir um. »Hier seid Ihr warm und sicher, Schwester Joanna.«
    »Ja«, sagte ich.
    »Ich bin ganz in der Nähe.« Er richtete sich auf. »Niemand kann in dieses Zimmer gelangen, ohne an mir vorbei zu müssen.«
    Auch ich stand

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