Die Prophezeiung der Nonne: Roman (German Edition)
Rückkehr gerechnet.
Der Zisterzienser war so erschöpft, dass ich fürchtete, er würde auf offener Straße zusammenbrechen. Seine Freunde sahen ebenso schlimm aus: niedergedrückt wie geprügelte Hunde.
»Was ist passiert?«, rief ich.
»Alles ist gut, Schwester Joanna«, versicherte Bruder Oswald mit schwacher Stimme.
»Ich sehe kein neues Gesicht – habt Ihr den Bruder, zu dem Ihr wolltet, in Aylesford nicht gefunden?«, fragte Bruder Edmund.
Niemand antwortete.
Arthur schoss, zornig über meine Verspätung, aus dem Haus der Sommervilles. Ich schob den Jungen, der nicht einmal eine Jacke trug, schnell wieder hinein. Einige Minuten später führte Bruder Edmund die neuen Gäste ins Haus.
Ich bewunderte Schwester Winifred, mit welch ungetrübter Freundlichkeit sie Bruder Oswald und seine Getreuen begrüßte. Während ich den Männern einen Becher Weihnachtspunsch kredenzte, zauberte sie aus einem Mahl für vier eines für zehn Personen. Jeder Gast erhielt ein Stück Gänsebraten und mehr als einen Bissen vom traditionellen mince pie , perfekt gewürzt und nicht zu dicht mit Rosinen gefüllt.
Angesichts Arthurs ausgelassener Freude an diesem Weihnachtsfest fragte ich mich, ob er sich an das letzte erinnerte: einen Tag, den er mit trauernden Verwandten in Nordengland verbracht hatte, ein Waisenkind, das keiner haben wollte, bis mein Vater kam und ihn mit nach Süden nahm. Und welche Erinnerungen hatte er an Weihnachten vor zwei Jahren, als seine beiden Eltern noch gelebt und ihn mit ihrer Liebe umgeben hatten? Ich hoffte aus tiefstem Herzen, dass Margaret ihren Sohn bei mir gut aufgehoben sah und ich sie nicht enttäuschte. Doch was würde sie davon halten, dass ich ihr schmerzliches Geheimnis dazu benutzt hatte, mich von Norfolk freizukaufen? Schuldgefühle quälten mich. Ich hätte mir meine Freiheit auf andere Weise erkämpfen müssen.
Doch immerhin war Arthur glücklich, ich sah es an seinem strahlenden Lachen, das alle am Tisch entzückte, auch wenn die Mönche nicht viel sprachen. Bruder Edmund stellte keine Fragen, sondern kümmerte sich nur aufmerksam um ihr Wohlbefinden. Doch ich kannte ihn gut genug, um zu wissen, dass er so verwundert war wie ich. Irgendetwas war in Aylesford vorgefallen. Aber was?
Als Kitty kam, um den Tisch abzudecken, fragte ich Schwester Winifred, ob sie sich Arthurs ein Weilchen annehmen könne, ich wolle Bruder Oswald gern meinen neuen Webstuhl zeigen.
Die Mönche sahen sich mit großem Interesse an, was wir bisher auf dem Webstuhl zustande gebracht hatten. Keiner von ihnen stellte die Verbindung her, von der Jacquard gesprochen hatte – dass man den Phönix als Symbol für die Wiedererstehung der Klöster sehen könnte.
Allein mit Edmund und ihnen in der Abgeschlossenheit meines Hauses wagte ich zu fragen: »Wollt Ihr uns nicht berichten, was in Aylesford geschehen ist?«
Trauer senkte sich wieder über die Gruppe. Die Mönche warteten schweigend auf Bruder Oswalds Entscheidung. Der sagte schließlich: »Wenn es Euch beliebt, Schwester Joanna«, und setzte sich auf den Boden. So war seine Art – so war die Demut der Zisterzienser.
»Kloster Aylesford war wunderschön«, begann Bruder Oswald. »Wir trafen bei Abenddämmerung ein, und es in diesem Licht zu sehen – es war wie ein Traum. Dreihundert Jahre alt, zur Zeit der Kreuzzüge erbaut …«
Bruder Oswald stockte, den Blick in die Flamme der Kerze gerichtet, die qualmend vor ihm stand. Ich konnte erkennen, dass die Wunde in seinem Gesicht, die ihm der Raufbold in Southwark beigebracht hatte, noch immer nicht verheilt war.
»Wir haben Bruder Paul gefunden. Er hatte sich dort versteckt gehalten. Er konnte kein Feuer machen, weder um zu kochen, noch um sich zu wärmen, weil er fürchten musste, dann entdeckt zu werden. Er sagte, er betrachte es als ein Zeichen Gottes, dass wir gekommen seien – dafür, dass noch nicht alles verloren sei. Wir haben dann zusammen gebetet und uns ein Nachtlager gesucht. Es war sehr tröstlich, in diesem Raum zusammen zu sein, als hätten wir wieder eine geistliche Heimat gefunden.«
Bruder Oswald senkte den Kopf. »Am nächsten Morgen konnten wir Bruder Paul nicht wecken. Er war in der Nacht gestorben.«
Jetzt tat es mir leid, dass ich ihn mit meiner Frage bedrängt hatte.
Bruder Oswald straffte die Schultern und sagte mit großer Anstrengung: »Wie werden nicht verzweifeln – nein, wir werden die Hoffnung nicht aufgeben. Gott hat einen Plan, und ich glaube, dass unsere
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