Die Prophezeiung der Nonne: Roman (German Edition)
nächste Pilgerreise uns den Willen Gottes offenbaren wird. Ja, ich bin ganz sicher.«
»Wohin wollt Ihr denn von hier aus?«, fragte Bruder Edmund.
»Nach Canterbury, zum Schrein des heiligen Thomas Becket. In vier Tagen ist sein Todestag«, antwortete Bruder Oswald.
»Nein«, rief ich. »O nein!«
Ich hatte Bruder Edmund nie gesagt, was ich vom Herzog von Norfolk über die zerstörerischen Pläne des Königs anlässlich dieses Todestags gehört hatte. Ich hatte es natürlich nicht vergessen – doch ich hatte es aus meinen Gedanken verdrängt wie einen schauerlichen Albtraum.
Mit hämmerndem Herzen sagte ich: »Der König will am Abend vor dem Todestag den Sarg mit den Gebeinen des heiligen Thomas aus der Kathedrale entfernen lassen.«
»Warum?«, rief einer der Mönche erstickt.
»Die Gebeine sollen verbrannt und die Asche verstreut werden«, antwortete ich. »Der König will ein Exempel statuieren und der Welt zeigen, welches Schicksal auf einen Gottesmann wartet, der sich seinem König widersetzt.«
Bruder Oswald bekreuzigte sich mit geschlossenen Augen. Die anderen fassten einander voll Schmerz und Entsetzen bei den Händen.
Bruder Edmund packte mich am Arm. »Warum habt Ihr mir davon nie etwas gesagt?«, fragte er beinahe ärgerlich. »Seit wann wisst Ihr das, Schwester Joanna?«
»Seit Blackfriars«, antwortete ich. »Der Herzog von Norfolk hat es mir gesagt.«
»Ja«, rief Bruder Edmund, »deshalb ist der König exkommuniziert worden. Ich wusste sofort, dass nur ein schrecklicher Frevel den Papst veranlasst haben kann, den Bann zu verhängen. Wenn Norfolk davon wusste und es Euch gesagt hat, dann wussten auch andere bei Hof davon. Dieser schändliche Plan wurde vielleicht schon vor Monaten ausgeheckt. Er hat sich bis nach Rom herumgesprochen – und Papst Paul blieb daraufhin keine Wahl. Kein Heiliger darf so entehrt werden.«
Bruder Oswald begann zu schluchzen. Seine Freunde gerieten außer sich, als sie den Mann, der sie bisher geführt hatte, in so trostlosem Zustand sahen. Einer der Mönche kniete vor BruderOswald nieder und sagte: »Vielleicht können wir es verhindern. Wir könnten schon jetzt nach Canterbury reisen, bevor die Leute des Königs eintreffen, und den Prior überreden, uns den Sarg des heiligen Thomas zu überlassen, damit wir ihn in Sicherheit bringen können.«
»Ich fürchte, der Prior von Canterbury wird Euch das niemals gestatten«, wandte Bruder Edmund ein. »Er wird es nicht wagen, dem König zu trotzen.«
»Wir reisen trotzdem.« Bruder Oswald hatte sich wieder gefasst. »Wir werden da sein, wenn die Männer des Königs eintreffen«, entschied er und stand auf. »Wir warten, bis sie mit dem heiligen Schrein herauskommen, und dann entreißen wir ihn ihnen.«
»Ja! Ja! Ja!«, riefen die anderen, augenblicklich überzeugt von diesem Plan, der mir höchst gefährlich schien. Ich konnte jedoch verstehen, dass sie sofort dafür entflammt waren. Der unbezwingbare Hass des Königs hatte sie in Hoffnungslosigkeit und Schmerz gestürzt. Mit diesem Plan wurde der Schmerz beseitigt und die Hoffnung wiederhergestellt. Doch wie wollten sie die Soldaten des Königs überwinden? Ich sah Bruder Edmund an – er musste ihnen dieses Vorhaben ausreden.
»Ich gehe mit Euch nach Canterbury«, erklärte Bruder Edmund.
»Das könnt Ihr nicht tun«, rief ich. »Bitte, hört mir zu! Hat man uns nicht gelehrt: Wappne dich mit dem Gebet statt mit dem Schwert; kleide dich in Demut statt in schöne Gewänder?«
Er wandte sich mir zu. Seine Augen blitzten, genau wie die Bruder Oswalds, wie geschliffene Steine. »Wir haben uns lange genug in Demut gekleidet, Schwester. Seht doch, was das aus uns gemacht hat. Ich muss gehen.«
»Bruder Edmund, sie werden Euch töten – Euch alle«, sagte ich. »Keiner von Euch hat so wie ich erlebt, wozu die Männer des Königs und seine Soldaten fähig sind.«
»Und wenn ich bei diesem Versuch umkommen sollte, bei diesem Versuch, einen Akt des Hasses und der Gotteslästerung zuverhindern – so wird mein Leben doch endlich einen Sinn bekommen haben, Schwester Joanna«, sagte Edmund leidenschaftlich. »Gerade Ihr wisst, was es mich gekostet hat, vor fünf Jahren den Suprematseid zur Anerkennung Heinrichs VIII. als Oberhaupt der Kirche zu leisten. Ich habe den Heiligen Vater verleugnet. Seither ist mir die Gnade Gottes versagt. Ich war schwach; ich habe mich vor Folter und Tod gefürchtet; ich habe den Eid abgelegt. Ich kann damit nicht länger leben.«
»Und
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