Die Prophezeiung der Nonne: Roman (German Edition)
Schwester Winifred?«, fragte ich.
»Wenn wir in Canterbury obsiegen, kann sie stolz auf mich sein«, antwortete er. »Und wenn wir unterliegen, wird es sie stolz machen, zu wissen, dass ich endlich Mut gezeigt habe, als Mut erforderlich war. Wie es auch Euch stolz machen wird, Schwester Joanna.«
»Ich bin schon stolz auf Euch, Bruder Edmund«, entgegnete ich. »Jetzt, heute und immer.«
Er starrte mich an, und ich glaubte schon, ich hätte gesiegt. Doch dann trat er von mir weg und gesellte sich zu den anderen.
Hilflos und ängstlich beobachtete ich sie, wie sie sich rot vor Eifer und Entschlossenheit miteinander besprachen. Sie hatten ihr Schicksal gefunden. Sie hatten es selbst gewählt.
Schicksal .
Es gibt ein Schicksal, das man selbst erschafft. Und es gibt ein Schicksal, das einem bestimmt ist.
Langsam trat ich in die Mitte des Kreises diskutierender Männer. Sie verstummten und warteten.
»Ich reise mit Euch nach Canterbury«, sagte ich.
Kapitel 35
Einmal entfacht, war das Feuer der Entschlossenheit in mir nicht mehr zu löschen. Als ich drei Tage später nachts die Stufen zur Kathedrale von Canterbury hinaufstolperte, hatte Bruder Oswald den heiligen Schrein schon aus den Händen der Soldaten gerettet.
Der älteste von ihnen, ein großer grauhaariger Mann, drängte sich drohend zwischen mich und Bruder Edmund und schwang seinen Knüppel. Ich schrie ihn an. Ich kam mir vor wie die rasende Königin Boudicca.
Der Soldat wich vor uns zurück an dem benommen dahockenden Prior vorbei in die Kathedrale. Wir hatten ihn in die Flucht geschlagen. Gleich würden wir die sterblichen Überreste unseres Heiligen mit uns fort führen und an einen sicheren Ort bringen können.
Eine wilde Erregung packte mich. Endlich hatte ich es geschafft, mein Schicksal selbst in die Hand zu nehmen. Doch das war es nicht allein. Zum ersten Mal verstand ich, Joanna Stafford, eine Novizin, die gelernt hatte, sich in friedlicher Kontemplation zu üben, warum Männer in Kriege zogen und die Ehre auf dem Schlachtfeld suchten. Das hohe Ziel, das mich mit Bruder Edmund, Bruder Oswald und den fünf anderen Mönchen verband, der gemeinsame leidenschaftliche Wille, Gott um jeden Preis zu dienen …
Hinter mir, am Ende der breiten Straße, ertönte gewaltiger Lärm. Es klang wie das Brausen, das mir in den Ohren gedröhnt hatte, als ich vor dem Friedhof gegen meine Schwäche kämpfte, nur hundertmal lauter.
»Nein, nein, nein«, rief Bruder Edmund in einem Singsang des Entsetzens.
Mindestens zwanzig Soldaten in königlicher Uniform galoppierten auf uns zu. Als die ersten uns erreichten, sprangen sie von ihren Pferden und schwärmten die Treppe zur Kathedrale hinauf.Silber blitzte im Fackelschein – sie trugen Schwerter. Das waren keine ängstlichen Jungen, keine leicht in die Flucht zu schlagenden alten Männer. Zwei von ihnen entrissen den Mönchen den Schrein. Doch meine Aufmerksamkeit galt nicht den sterblichen Überresten von Englands verehrtem Heiligen.
Der Mann, der uns geführt hatte, der fromme Zisterzienserbruder Oswald, lag reglos, mit zertrümmertem Schädel vor der untersten Treppenstufe auf der Straße.
Schneeflocken setzten sich auf die Lache dunkelroten Bluts, die sich auf den Pflastersteinen ausbreitete.
Ein behelmter Mann auf einem mächtigen Rappen mit schäumendem Maul versperrte uns den Fluchtweg. Mit lauter Stimme befahl er seinen Männern, uns alle gefangen zu nehmen. Grobe Hände packten meine Freunde, zogen ihnen die Arme auf den Rücken, um sie zu fesseln.
Ich konnte es nicht begreifen, konnte nicht glauben, dass dies wirklich geschah. Zu siegen und zu leben – das war immerhin eine Möglichkeit gewesen. Zu siegen und zu sterben war die wahrscheinlichere, und ich hatte mich darauf vorbereitet. Doch zu scheitern und am Leben zu bleiben? Das war unmöglich. Tödliches Grauen erfasste mich, als ich erkannte, dass ich erneut in Gefangenschaft geraten war.
»Schafft sie weg. So schnell wie möglich«, rief der Behelmte auf dem riesigen Rappen, und zwei Soldaten hoben den schlaffen Leichnam Bruder Oswalds so achtlos hoch wie einen Sack Mehl, den sie zum Markt bringen wollten.
Der Mann, der die Befehle gab, nahm seinen Helm ab – Lord John Dudley. Keine zwei Monate war es her, dass ich Zeugin geworden war, wie er eine Gruppe Menschen ganz anderer Art in die Gefangenschaft abgeführt hatte.
Einer der Soldaten riss Bruder Edmund herum und band ihm die Hände auf dem Rücken. Mein armer Freund krümmte sich
Weitere Kostenlose Bücher