Die Prophezeiung der Nonne: Roman (German Edition)
beobachtet?«, fragte er.
»Mit Sicherheit kann ich es natürlich nicht sagen – aber mir ist nichts dergleichen aufgefallen«, antwortete ich. »Habt Ihr denn eine Vorstellung, wer diese Person sein könnte?« Mir kam plötzlich ein erschreckender Gedanke. »O nein«, rief ich. »Es ist ein Spitzel von Gardiner und Norfolk.«
Bruder Edmund machte ein nachdenkliches Gesicht. »Das ist eine Möglichkeit. Es gibt aber noch eine andere.«
Er zögerte, als überlegte er, wie er mir seinen Gedanken nahebringen sollte. Draußen schrie John sein unsinniges Zeug – seine Dämonen quälten ihn wieder einmal. Ich hoffte, jemand würde ihn zum Weihnachtsmahl ins Haus holen, auch wenn dazu eine gewisse Unerschrockenheit gehörte.
»Schwester Joanna, habt Ihr einmal darüber nachgedacht, wer Gertrude Courtenay zu Euch gesandt haben könnte?«, fragte er.»Habt Ihr eine Ahnung, wer hinter ihr stand, als sie Euch zwang, den zweiten Seher aufzusuchen?«
Natürlich. Bruder Edmund war von der Prophezeiung besessen. Er wünschte sich, es käme jemand und brächte mich zu dem dritten Seher. Das war der einzige Grund, weshalb er mit mir unter vier Augen sprechen wollte.
»Nein, ich weiß nur, dass es nicht Lady Maria war«, antwortete ich. »Vielleicht werde ich es nie erfahren. Gertrude kann ich jedenfalls nicht fragen.«
In diesem Augenblick klopfte es draußen. Als Bruder Edmund die Tür öffnete, traten Jacquard Rolin und Oliver Gwinn ein, der Witwer, den wir am Tag meiner Abreise aus Dartford in der Kirche getröstet hatten.
»Seht Ihr?«, sagte Jacquard. »Ich habe Euch gesagt, dass Bruder Edmund hier ist. Ich habe ihn nach der Kirche mit Schwester Joanna in diese Richtung gehen sehen.«
»Ich möchte Euch nicht stören«, sagt Gwinn, dessen linke Hand mit einem Tuch verbunden war. »Es ist meine eigene Schuld. Ich habe mich dumm angestellt.«
»Mr Gwinn war heute Morgen im Stall von Holcroft House an der Arbeit, als ihm das Missgeschick passiert ist«, erklärte Jacquard. Damit verabschiedete er sich.
Holcroft war das Anwesen, wo die sechs Schwestern aus Kloster Dartford lebten. Ich wusste aus Schwester Winifreds Brief und aus Erzählungen, dass Gwinn ihnen ein unentbehrlicher Helfer geworden war.
»Zeigt mir Eure Hand«, forderte Bruder Edmund ihn auf. »Es ist keine schwere Verletzung, aber sie muss versorgt werden, sonst entzündet sie sich. Ihr erlaubt?«
»Natürlich, Bruder Edmund«, antwortete er. »Ich danke Euch.«
Während mein Freund eine Salbe zubereitete, wandte Oliver Gwinn sich mir zu. »Als Ihr im Kloster wart, war Schwester Agatha Eure Novizinnenmeisterin, nicht wahr?«
Ich nickte.
»Das kann ich mir gut vorstellen.« Er lächelte schüchtern. »Sieist gewiss unübertrefflich darin, junge Frauen zu lehren und zu unterweisen. Ach was, sie ist in allem unübertrefflich. Sie ist der gütigste, herzlichste und aufmerksamste Mensch überhaupt. Und sie bringt mich zum Lachen – niemand kann so gut Geschichten erzählen wie Schwester Agatha.«
Er schien aufs Höchste entflammt zu sein. Vielleicht, dachte ich, war Schwester Agatha diejenige unter uns, die heiraten würde. Überall in England gab es inzwischen ehemalige Nonnen und Mönche, die sich verheirateten. Als ich anfangs davon hörte, war ich bestürzt. Doch allmählich gewöhnte ich mich an die Vorstellung.
»Das ist wirklich gute Pflege – sehr gute Pflege«, erklärte Gwinn. »Was die anderen behaupten, stimmt nicht.«
»Wer sind die anderen?«, fragte Bruder Edmund, der dabei war, Gwinns Wunde zu reinigen.
»Die Leute im Ort«, antwortete Gwinn. Er sah zuerst Bruder Edmund an, dann mich. »Ihr meint, Ihr wisst es gar nicht?«, fragte er erschrocken. »Ach, was bin ich für ein dummer Kerl.«
»Ich weiß, dass in den letzten zwei Monaten kaum Leute gekommen sind, um sich von mir behandeln zu lassen – abgesehen von meinen Freunden, die auf der Durchreise hier waren«, sagte Bruder Edmund.
Das überraschte mich. Warum hatte er mir das nicht erzählt?
Gwinn seufzte. »Daran ist nur der junge Brooke schuld – Timothy, der Prediger.«
»Der auf dem Baumstumpf«, murmelte ich.
»Er wettert gegen die Schwestern und noch mehr gegen Euch, Bruder Edmund«, berichtete Gwinn. »Gute Christen sollten Euren papistischen Heilkünsten misstrauen, sagt er. Tut mir leid, dass ich diese Verleumdungen hier wiederholen muss.«
Bruder Edmund legte Kräutersalbe auf und verband dann die verletzte Hand. »Macht Euch keine Gedanken, Mr Gwinn«, sagte er.
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