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Die Prophezeiung der Nonne: Roman (German Edition)

Die Prophezeiung der Nonne: Roman (German Edition)

Titel: Die Prophezeiung der Nonne: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Bilyeau
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der Mauer standen kaum Häuser. Wir kamen an einem Wald kahler Bäume vorüber, an deren nackten Ästen der Schnee in Streifen klebte wie Verbände an verkrüppelten Gliedern. Mein Blick schweifte zur linken Straßenseite, wo eine Gruppe von Gebäuden sich aus der Dunkelheit hob und ein Kirchturm zum eisigen Himmel emporragte.
    Dudley hat uns nach St. Sepulchre gebracht .
    Ein bärtiger junger Mann kam aus dem Pförtnerhaus von St. Sepulchre gelaufen. Es war nicht mehr der Pförtner, der vor zehn Jahren meine Mutter und mich empfangen hatte. Er nahm Dudleys Pferd, als dieser abstieg.
    Vom Kloster stand nur noch ein Teil. Die Zerstörung durch den neuen Eigentümer, sei es der König oder ein Höfling, hatte begonnen. Die Kirche war schon abgerissen, bis auf den Turm, ebenso der vordere Empfangsraum, in dem ich das Bild des heiligen Benedikt gesehen hatte. Doch im Moment ruhten die Arbeiten wohl wegen des Wintereinbruchs. Jener Trakt, in dem sich die Räume der Priorin und das Dormitorium befanden, war unversehrt.
    Der Pförtner kam mit einer Fackel zurück und führte uns zusammen mit dem Soldaten durch den einzigen noch verbliebenen Gang. Dudley begleitete uns nicht. Er schien von der Bedeutung dieses Orts für mich nichts zu ahnen. Doch wenn er meine Geschichte nicht kannte, warum hatte er mich dann hierher gebracht?
    Vor dem Dormitorium machten die zwei Männer Halt. Schlüssel klapperten, eine Tür wurde geöffnet und Bruder Edmund wurde ins Dunkle gestoßen. Bevor ich noch ein Wort zu ihm sagen konnte, schlug der Pförtner die Tür wieder zu.
    »Hier rüber«, befahl er mir und zeigte auf die nächste Tür. Ich sollte in der Zelle eingesperrt werden, in der ich Schwester Elizabeth Bartons Prophezeiung empfangen hatte.
    Ich wich zurück. »Nein, nicht hier«, rief ich.
    Der Soldat packte mich. »Schließt auf«, befahl er, und der Pförtner gehorchte.
    Der Soldat schleuderte mich in die Zelle. Mit meinen auf dem Rücken gebundenen Händen stürzte ich hilflos zu Boden. Hätte nicht ein Strohhaufen den Fall gedämpft, ich hätte mir das Gesicht blutig geschlagen.
    Die Tür flog krachend zu. Es war stockfinster. Die Zelle hatte kein Fenster, wie ich wusste.
    »Heilige Mutter Maria, hilf mir – lieber Gott, hilf mir«, jammerte ich und wälzte mich in dem stinkenden Stroh.
    Aber es gab keine Hilfe für mich. Ich krümmte mich zusammen und weinte wie ein verlorenes Kind. In diesem Raum hatte ich mit angesehen, wie eine junge Nonne sich zuckend auf dem Boden gewälzt hatte. Ihr seid die Ausersehene, die nachkommen wird , hatte sie stöhnend gesagt. Schwester Barton war gefoltert und gehängt worden, weil sie sich dem König widersetzt hatte. Wollte Dudley mich auf diese Weise wissen lassen, dass ich bald den gleichen Weg gehen würde?
    »Schwester Joanna. Schwester Joanna.«
    Hatte der Wahnsinn von mir Besitz ergriffen? Wessen Stimme war das – Schwester Bartons vielleicht? Ich lag starr vor Angst. Doch dann erkannte ich, dass es eine Männerstimme war, die mich rief. Bruder Edmund.
    »Könnt Ihr mich hören?«, rief er laut.
    »Ja«, schrie ich zurück.
    »Folgt meiner Stimme – folgt ihr«, befahl er. »Ich rede weiter, bis Ihr an der Wand angekommen seid.«
    Ich richtete mich auf die Knie auf und rutschte blind, ohne mich mit den Händen vorantasten zu können, seiner Stimme nach, bis ich gegen die Backsteinmauer prallte. Der Zusammenstoß war so schmerzhaft, dass ich glaubte, ich würde ohnmächtigwerden. Keuchend ließ ich mich an der Mauer niederfallen. Bruder Edmunds Stimme drang durch ein Loch am Fuß der Mauer. Ich kauerte davor nieder und drückte meine Wange an den rauen, kalten Backstein.
    »Wir sind hier in St. Sepulchre, nicht wahr?«, fragte er. Jetzt, da er so nahe war, brauchte er nicht mehr zu schreien.
    »Ja«, antwortete ich.
    »Schwester Joanna, hört mir zu«, beschwor er mich. »Ich weiß nicht, wie viel Zeit wir haben. Ihr müsst Ruhe bewahren. Sagt ihnen nichts von den Prophezeiungen. Vielleicht gelingt es uns noch, uns zu befreien. Das Wichtigste ist, ruhig zu bleiben.«
    »Wie sollten wir uns jetzt noch befreien können?«, fragte ich. »Sie werden uns verhören – vielleicht foltern oder sogar töten.«
    Bruder Edmund schwieg einen Moment. »Ja«, sagte er dann. »Es ist möglich, dass sie uns töten werden. Dann sollten wir beide Gott um Gnade und Vergebung bitten.«
    Noch vor wenigen Stunden hatte ich mich auf den Tod vorbereitet geglaubt. Jetzt wollte ich nur leben.
    »Es ist aber

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