Die Prophezeiung der Nonne: Roman (German Edition)
kniete neben mir nieder.
Ich schüttelte den Kopf, obwohl ich nicht gleich wieder aufstehen konnte. Die Wucht des Sturzes hatte mir alle Luft aus der Lunge gepresst.
Jacquard hob plötzlich meine Haare in seine Hände. »Ihr seid wirklich eine schöne Frau«, meinte er nachdenklich. »Ich habe nicht gelogen, als ich das vorhin sagte.«
Ich zuckte vor ihm zurück und kroch wie gejagt über den Boden.
Jacquard seufzte. »Wann werdet Ihr aufhören, Euch vor mir zu fürchten?«, fragte er. »Jedes Mal, wenn ich Euch berühre, erstarrt Ihr zu Eis. Aber wir sind angeblich verheiratet, und wir müssen das so überzeugend spielen, dass alle anderen es glauben. Wie soll das erst auf dem Schiff werden, wo wir einander nicht aus dem Weg gehen können?«
Ich hob meinen Dolch auf und stand auf. »Ich werde schon überzeugend genug sein – aber glaubt ja nicht, dass es jemals Vertraulichkeiten zwischen uns geben wird. Das ist ausgeschlossen«, sagte ich.
»Warum?«, fragte er, den Dolch in den Händen drehend. »Ich würde Euch sehr sanft begegnen. Glaubt Ihr, wir wissen nicht, dass Ihr nachts um Euren verschwundenen Ordensbruder weint? Ich könnte Euch leicht helfen, über ihn hinwegzukommen.«
»Ich werde niemals über ihn ›hinwegkommen‹, wie Ihr es ausdrückt«, entgegnete ich. »Und ich will es auch gar nicht, ganz besonders nicht mit Hilfe von Euch.«
Ohne auf eine Erwiderung von ihm zu warten und ohne den Dolch aus der Hand zu legen, lief ich hinaus, direkt in mein Schlafzimmer im oberen Stock hinauf, wo ich hinter mir absperrte.
Ich kann nicht sagen, dass ich eine solche Szene für unvermeidlich gehalten hätte. Jacquard hatte sich mir nie mit der persönlichen Zuneigung – oder Begierde – genähert, die unweigerlich zu einem Liebesantrag geführt hätte. Doch ich hatte von Beginn an gefürchtet, dass dieses Ehespiel mich in anstößige Situationen bringen würde. Chapuys hatte mir versichert, dass nichts dergleichen geschehen, dass meine Tugend gewahrt bleiben würde. Doch Chapuys war in Antwerpen, und ich war in enger Zweisamkeit mit diesem Mann gefangen, der mir gerade so nonchalant, als spräche er von einem gemeinsamen Ausflug, vorgeschlagen hatte, das Bett mit ihm zu teilen.
Entgegen meinem Willen kam Edmund mir in den Sinn. Jetzt, da etwas Zeit vergangen war, erkannte ich mit aller Deutlichkeit, dass er für Ehe und Familie nicht geschaffen war. Er war zu einem Leben in Gott berufen. Die Gefühle, die wir einander entgegenbrachten, waren fleischlicher Natur, wir hätten ihnen widerstehen müssen. Jetzt konnte ich nur beten, dass meine Mission gelingen würde – ich würde die dritte Prophezeiung empfangen und erfahren, was ich tun musste, um Heinrich VIII. Einhalt zu gebieten. Wenn das alte Königreich wiederhergestellt war, konnten Edmund und ich in das Leben in Keuschheit zurückkehren,das unsere wahre Bestimmung war. Wir konnten wieder Nonne und Ordensbruder sein.
Mein Zimmer hatte nur ein kleines Fenster, und die Hitze ließ in dieser Nacht nicht nach. Mit jeder Stunde schien die Luft stickiger zu werden. Ich lag in meinen schweißfeuchten Laken und ekelte mich – ich fühlte mich wie ein primitives Tier. Draußen war es totenstill. Die Leute in der St. Paul’s Row beachteten die gesetzliche Nachtruhe. Kein Blättchen raschelte, nicht einmal der Schrei eines Nachtvogels drang durch das offene Fenster herein.
Wahrscheinlich fielen mir deshalb die Geräusche sofort auf.
Zuerst glaubte ich, es wären die Schreie eines hungrigen Kätzchens; als sie lauter wurden, fordernder, dachte ich an eine Wildkatze – vielleicht auch mehrere. Ich stand auf und ging zur Tür. Zu meinem Schrecken hörten sich diese heftigen kurzen Aufschreie menschlich an. Es konnte eine Frau sein, die Schmerzen litt. Die einzige andere Person, die heute Nacht hier schlief, war Nelly – ich hatte Jacquard nicht in seinem Schlafzimmer neben meinem herumgehen hören. Sie war nicht mein Dienstmädchen, wie Kitty es gewesen war – Nelly stand in Chapuys’ Diensten. Trotzdem fühlte ich mich für ihre Sicherheit verantwortlich. Im Nachthemd, meinen Dolch in der Hand, sperrte ich meine Zimmertür auf, um den Geräuschen nachzugehen.
Vom Treppenflur aus hörte ich, dass nicht eine Katze schrie, sondern eindeutig eine Frau. War es Nelly? Die Schreie waren jetzt von einem heiseren Keuchen abgelöst worden. Als ich die Treppe hinunterstieg, wunderte ich mich über den gleichmäßigen Rhythmus. Der Schmerz schien weder stärker
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