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Die Prophezeiung der Nonne: Roman (German Edition)

Die Prophezeiung der Nonne: Roman (German Edition)

Titel: Die Prophezeiung der Nonne: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Bilyeau
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Hafenstadt. Hier sah ich Misstrauen und Argwohn in den Gesichtern der Menschen, die uns begegneten.
    »Gent ist eine eigenwillige Stadt«, bemerkte Jacquard. »Die Leute hier weigern sich, dem Kaiser Steuern zu bezahlen. Sie seien nicht bereit, sich für seine Kriege in Schulden zu stürzen, sagen sie. Ohne Geld kann das Reich nicht zusammengehalten werden. Doch die Bürger wiegeln mit ihren Unabhängigkeitsbestrebungen die ganz Stadt auf.«
    Ich hatte noch nie von einer Stadt gehört, die sich gegen ihren Herrscher erhoben hatte. Und dies war der Ort, an dem der Kaiser geboren war? Neue Fragen bedrängten mich. Wenn der Kaiser nicht einmal Flandern beherrschen konnte, das Kernland der Habsburger, wie wollte er dann ein riesiges Reich regieren – und eine Invasion Englands anführen?
    Die Straße, der wir folgten, führte uns auf einen weiten Stadtplatz – ich konnte ihn schon von Weitem sehen und das ohrenbetäubende Geschrei und Gegröle von Menschen hören. Nicht Hunderter. Tausender.
    Jacquard fluchte, als wir den Platz erreichten und er die wogenden Massen sah, die sich um ein Gerüst drängten, das man in der Mitte des Platzes errichtet hatte. Wir konnten nicht weiterreiten.
    »Der Gravensteen ist drüben auf der anderen Seite, noch mehrere Straßen entfernt«, schimpfte er.
    »Was ist das?«
    »Die Burg mit dem Kerker, in dem der Seher festgehalten wird«, antwortete Jacquard. »Und wir haben keine vier Stunden mehr bis Mitternacht. Es wird nicht einfach werden, dort hinzukommen.«
    Er übergab den beiden Männern die Pferde und gebot ihnen zu warten, bis die Stimmung auf dem Platz sich beruhigte, und uns dann zu folgen. »Rührt Euch nicht von der Stelle«, befahl er mir. »Ich komme zurück, sobald ich mich umgesehen habe.«
    Während ich wartete, versuchte ich, mich auf den Besuch in diesem Kerker namens Gravensteen vorzubereiten. Doch mit jedem Moment, der dahinkroch, wuchs meine Angst vor der tobenden Menge. Erinnerungen an den blutrünstigen Mob inSmithfield kehrten zurück, der die Verbrennung meiner Cousine Margaret bejubelt hatte.
    Ich bat Gott um Kraft.
    Jacquard kehrte mit erschreckenden Nachrichten zurück. Die Stadt hatte sich in der Tat geweigert, der Statthalterin der Niederlande, Maria von Ungarn, Schwester Karls V., die auferlegten Steuern zu bezahlen, und behauptete unter Berufung auf alte Rechte, die sie vor der Herrschaft der Habsburger genossen hatte, sie schulde der Monarchie keine Loyalität. Die Bürger, zu denen nur jene Stadtbewohner zählten, die steuerpflichtigen Grundbesitz ihr Eigen nannten, hatten geschworen, die Urkunde zu verbrennen, die die Stadt Gent zur Treue gegenüber dem Reich verpflichtete. Ein Diakon, der noch treu zu Kaiser Karl stand, hatte das Dokument in Verwahrung und weigerte sich, es herauszugeben. Doch die Bürger hatten ihr eigenes Gericht über ihn abgehalten und ihn zum Tode verurteilt. Heute Abend sollte er auf dem Platz hingerichtet werden.
    Jacquard wies auf das hohe Gerüst. Mein Gefühl hatte mich nicht getrogen. Diese Menge wollte Blut sehen.
    Jacquard stieß mich vorwärts, dem Gerüst entgegen.
    »Nein, das können wir nicht«, protestierte ich.
    »Es wird nicht lange dauern. Der Diakon soll bei Sonnenuntergang getötet werden«, sagte er. »Dann können wir zum Gravensteen hinüber.«
    Ich konnte das Gerüst mit den lodernden Fackeln an den vier Ecken jetzt besser erkennen. Und ich konnte den wild um sich schlagenden Mann erkennen, den sie zum Gerüst hinaufschleppten. Seine Schreie mischten sich mit dem Johlen der Menge. Ein Mann mit erhobenem Beil rannte ihm nach. Das war keine ordentliche Hinrichtung, wie ich sie auf dem Tower Hill erlebt hatte. Dies war ein blutiges Gemetzel vor den Augen einer unbeherrschbaren Masse.
    Dreimal fiel das Beil herab, bevor der Diakon tot war.
    Ich empfand nichts als ohnmächtige Wut über den Wahnsinn und die Erbarmungslosigkeit der Menschen. Jacquard schien unruhig,doch nicht erschüttert. Für ihn war dies nichts als eine unwillkommene Verzögerung seiner Mission auf Leben und Tod.
    Ein Bürger erklomm das Gerüst und schwenkte etwas, das aussah wie ein dünnes Tuch von heller Farbe. Gleich darauf ging es in Flammen auf. Über dem verstümmelten Leichnam des Diakons hatten sie das Kalbspergament mit der Unterschrift Kaiser Karls verbrannt und so die Urkunde vernichtet, die sie zur Treue gegenüber dem Heiligen Römischen Reich verpflichtet hatte.
    Während die Leute von Gent feierten, versuchten Jacquard und

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