Die Prophezeiung der Nonne: Roman (German Edition)
ich, » mir tut es leid. Denn was mir bestimmt ist, hat Euch die Freiheit gekostet und wird Euch vielleicht noch das Leben kosten.«
Die Tür wurde geöffnet, und Jacquard trat mit einem der Wärter ein. Sie brachten die »Werkzeuge«: eine flache, mit Wasser gefüllte Schale; einen Dreifuß aus Messing und einen Holzstab.
Nostradamus stellte die Schale vorsichtig auf den Dreifuß. Die beiden Männer gingen wieder. Jacquard warf mir noch einen fragenden Blick zu, doch ich tat, als bemerkte ich es nicht.
»Nehmt so viel Abstand wie möglich und wendet Euch ab, bitte«, sagte Nostradamus sehr höflich.
Ich kam der Aufforderung nach. Während ich dort in der Zelle stand, dicht vor der dicken Steinmauer, klopfte mein Herz so heftig, dass ich kaum atmen konnte. Hinter mir war es totenstill. Ich hatte keine Ahnung, was geschehen würde.
Plötzlich erhellte ein goldener Blitz wie eine aufspringende Flamme die Mauer, und ich fuhr herum. Doch in der Kerkerzelle brannte kein Feuer. Nostradamus saß reglos vor dem Dreifuß mit der Schale. Seine Augen waren weit aufgerissen. Sehr langsam tauchte er den Stab ins Wasser.
Er nickte dreimal, die Augen noch immer groß und starr. Dann öffnete er den Mund.
»Der Rabe erklimmt das Seil«, sagte er mit angestrengter Stimme. »Jetzt wird sich der Hund in die Lüfte erheben wie ein Falke. Wartet auf die Zeit, da der Bär den Stier schwächen wird. Es ist die einzige Zeit …«
Er brach ab, hob den Stab aus der Wasserschale empor und richtete ihn auf mich.
»Diese Hand wird den Kelch berühren. Der Kelch muss vom Rat der Zehn kommen. Leeren muss er ihn, bevor die vierte Frau in sein Bett steigt. Sonst wird der Sohn William kommen. Er wird kommen, und er ist der König, der die Welt spalten wird.«
Zitternd sank Nostradamus auf die Bank. Der Stab fiel ihm aus der Hand. Seine Augenlider flatterten.
Die Tür flog auf, und Jacquard stürmte herein. Er sah mich an,hellauf begeistert. »Jetzt wissen wir, was wir zu tun haben«, sagte er.
Dem Wärter, der ängstlich hinter ihm in die Zelle schlich, befahl er, die Werkzeuge wegzuräumen. Beide Männer schenkten Nostradamus, der ermattet halb auf der Bank zusammengesunken war, keine Beachtung.
»Ihr habt draußen gehorcht?«, fragte ich vorwurfsvoll.
»Natürlich.« Er zog mich aus der Zelle, so glücklich, dass ich glaubte, er würde mich gleich in einem Freudentanz herumschwenken.
»Kommt mit in mein Zimmer«, sagte er lachend. »Jetzt können wir planen.«
Kurz darauf saß ich auf einem niedrigen gepolsterten Hocker in dem großen, mit Bildteppichen behangenen Raum, den Jacquard für sich in Anspruch genommen hatte. Mit Unbehagen sah ich das riesige Bett auf der anderen Seite des Gemachs. Zum ersten Mal fragte ich mich, wo ich im Gravensteen schlafen sollte.
»Hier, trinkt.« Er wollte mir einen Becher Wein aufdrängen.
»Nein«, wehrte ich ab. »Was habt Ihr gemeint, als Ihr sagtet: Jetzt wissen wir, was wir zu tun haben? Ich weiß nicht, was ich zu tun habe. Was ist der Rat der Zehn?«
Jacquard trank gierig vom Wein, bevor er antwortete. »Der Rat der Zehn wacht über die innere Sicherheit Venedigs und schreckt auch vor Morden nicht zurück. Er beschäftigt seine eigenen Giftmischer. Die besten der Welt.«
Gift .
»Und der Kelch?«, fragte ich voll Angst und dunkler Ahnung.
»Ich habe gehört, dass der Rat ein gewisses Verfahren entwickelt hat, bei dem das Gift in einem besonderen Kelch oder Becher verabreicht wird. Auf dem Grund des Gefäßes befindet sich eine kleine Kammer, die eine Substanz freisetzt, sobald Wein eingegossen wird. Der Wein ist harmlos. Es kann jede beliebige Art sein. Doch wenn er sich mit der Substanz mischt, entsteht ein Gift.« Er grinste breit. »Eine alte List der Borgias.«
»Und das Gift – tötet den, der den Wein trinkt?«, fragte ich.
»Aber nein«, versetzte Jacquard, »es macht ihm Lust auf ein kleines Nickerchen nach dem Essen.«
Ich starrte ihn verwirrt an. Er lachte schallend. »Ja, natürlich bringt es ihn um. Innerhalb einer Stunde.« Er hielt inne und kniff die Augen zusammen. »Halt, nein, es muss nicht so sein. Ich habe gehört, dass der Rat der Zehn auch ein Gift entwickelt hat, das, wenn es nur in kleiner Dosis genossen wird, Mannesschwäche und eine tiefe Übellaunigkeit hervorruft. Aber ich bin sicher, Ihr werdet Mittel und Wege finden, den König dazu zu bringen, dass er den Kelch bis zum letzten Tropfen leert, Joanna.«
Ich sprang von meinem Hocker auf. »Das also
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