Die Prophezeiung der Nonne: Roman (German Edition)
ich, uns einen Weg durch das Gewühl zu bahnen. »Tanzt!«, riefen uns die Leute zu. Ich verbarg mein Gesicht an Jacquards Schulter. So sehr ich ihn verabscheute, das Lächeln in den Gesichtern der Mörder war mir noch widerwärtiger.
Ich weiß nicht, ob es uns gelungen wäre, den Platz rechtzeitig zu verlassen, wäre nicht der Wind uns zu Hilfe gekommen.
Jacquard fasste mich fester am Arm, als wir die ersten Stöße spürten. »Was ist das?« Er blickte zum Himmel hinauf. »Eben war der Himmel doch noch voller Sterne. Wie kann es da einen Sturm geben?«
Auch ich sah hinauf, während der Wind uns schon umfing. So schnell wie die geblähten Segel des Schiffes, das uns nach Antwerpen getragen hatte, zogen die Wolken über den Himmel und verdunkelten die Sterne. Die Leute auf dem Platz begannen aufmerksam zu werden, als der Wind an Stärke gewann.
»Das ist das Gericht Gottes«, rief eine alte Frau, und ihre Nachbarn brachten sie hastig zum Schweigen. Andere jedoch schienen Ähnliches zu fürchten. Die Menge begann sich zu zerstreuen.
»Jetzt ist der Weg zum Gravensteen gleich frei«, sagte ich zu Jacquard.
Er blickte mich in der Dunkelheit an. »Bei dem Sturm wird es vielleicht schwierig werden. Haltet Euch bereit.«
»Ich bin bereit«, erwiderte ich. » Ihr seid es vielleicht nicht.«
Gegen den Sturm kämpften wir uns voran. Auf dem letzten Stück Weg legte Jacquard seinen Arm um mich und zog mich dicht an sich, um mir Schutz zu geben, während er mit dem anderenArm die wirbelnden Wolken aus Schmutz und abgerissenen Ästen abzuwehren suchte. Jeder Fremde hätte uns für ein liebendes Paar gehalten, das verzweifelt nach Hause zu kommen suchte.
Der Gravensteen war ein finsterer Ort. Ich hatte geglaubt, für den Anblick dieses Kerkers gewappnet zu sein, in dem ich die dritte Prophezeiung empfangen sollte. Doch als ich davorstand – vor diesem hohen steinernen Turm mit den schmalen Schießscharten und den grauen Mauern dahinter –, überfiel mich das Grauen. Der Gravensteen schluckte alles von Menschen erzeugte Licht. Es war der finsterste Ort, den ich je gesehen hatte.
Jacquard und ich hörten das Rasseln der Ketten, als die Zugbrücke herabgelassen wurde. Zwei Männer sprangen heraus und zogen uns in die Burg. Gleich als Erstes teilten sie uns mit, dass der Dominikanerbruder, der den Gefangenen des Kaisers unter seiner Obhut hatte, am Tag zuvor unter heftigen Schmerzen in der Brust gestorben war. Ich war erschüttert, doch Jacquard sagte nur mit einem Schulterzucken: »Ich weiß, was zu tun ist.«
Nachdem er sich mit einem feuchten Tuch den Schmutz vom Gesicht gewischt hatte, fragte er mich: »Möchtet Ihr Euch vorher frisch machen, Joanna, oder etwas trinken?«
»Bringt mich einfach zu dem Seher«, gab ich ungeduldig zurück.
»Ich mag Frauen, die wissen, was sie wollen. Spart eine Menge Zeit. Lasst mich zuerst mit dem Mann reden und ruht Euch inzwischen etwas aus.«
Trotz meiner Proteste ging er davon, während ich in einen kleinen Raum geführt wurde, in dem auch ich mir Gesicht und Hände reinigte. Ein Diener schenkte mir Wein ein. Speisen wurden mir angeboten, doch ich schüttelte den Kopf. Ich wusste genau, in welch gefährlicher Situation ich mich befand. Ich war Jacquard Rolin ausgeliefert, eingesperrt in einer Trutzburg mitten in einer Stadt, die sich gewaltsam gegen ihren Herrscher erhoben hatte. Wie hätte ich da an Essen auch nur denken können?
Als Jacquard zurückkehrte, schien er zu meiner Überraschung bestens gelaunt. »Alles ist gut, Joanna Stafford«, verkündete er.Dann führte er mich durch die steinernen Gemächer des Burgfrieds, an einem riesigen offenen Kamin vorbei zu einem Torbogen, hinter dem sich ein steinernes Treppenhaus befand, in dem Stufen nach oben und nach unten führten.
»Wie soll es nun weiter ablaufen?«, fragte ich.
»Ganz einfach«, antwortete er. »Diesmal müssen weder nekromantische Beschwörungskreise gezogen werden, noch müsst ihr tollwütige Anfälle einer Klosterfrau über Euch ergehen lassen. Er braucht nur einige – Werkzeuge. Der Dominikaner hat das Verfahren aufgeschrieben und an Chapuys geschickt, der mir in Antwerpen alles erklärt hat. Ich werde die Werkzeuge vorbereiten, die der Seher braucht, um seine Prophezeiung empfangen zu können. Währenddessen werdet Ihr mit dem Mann sprechen.«
»Mit ihm sprechen?«, fragte ich. »Habt Ihr den Verstand verloren?«
»Ein interessanter Aspekt an dieser Sache ist, dass der Mann Euch ohne Zweifel
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