Die Prophezeiung der Nonne: Roman (German Edition)
angenehm sein wird«, sagte Jacquard. »Ich habe mit ihm gesprochen. Er ist anspruchslos. Höflich. Ein Apothecarius.«
Ich blieb abrupt stehen. »Jacquard, was habt Ihr getan?«
»Nein, nein.« Er lachte. »Ich habe Euch nicht Edmund Sommerville gebracht.« Er gab dem Wärter ein Zeichen, die Tür aufzusperren. »Ursprünglich hat er in Südfrankreich gelebt. Warum er nach Spanien gegangen und dort in die Fänge der Inquisition geraten ist, kann ich Euch nicht sagen.«
Die Tür öffnete sich. Jacquard ging voraus und winkte mir, ihm zu folgen.
Die Zelle war klein, der Boden mit Stroh bedeckt. An einer Wand zog sich eine Bank entlang. Frisch angezündete Kerzen tauchten den Raum in helles Licht.
Ein magerer Mann mit einem struppigen braunen Bart saß auf der Holzbank, die Hände im Schoß. Er blickte zuerst Jacquard an und dann mich, als er aufstand.
»Joanna Stafford«, sagte Jacquard, »das ist Michel de Nostredame – Nostradamus.«
SECHSTER TEIL
Kapitel 45
»Mir wurde gesagt, Ihr seid Apothecarius?« Meine Stimme zitterte hörbar in der kleinen schmutzigen Zelle.
»Ja, das ist wahr. Aber bitte – setzt Euch«, forderte Nostradamus mich in einem weichen Französisch auf und wies auf die Holzbank an der Wand. Ich ging über das Stroh und setzte mich.
»Es war immer mein Wunsch, andere zu heilen.« Er nickte mir zu, bevor er sich mit gebührendem Abstand neben mir niedersetzte. »Ich wollte alles über die Heilkunst lernen. Meine Eltern glaubten an meine Zukunftsträume und ließen mich zwei Universitäten besuchen.«
Er schwieg eine Weile, in Gedanken versunken.
»Ich hatte ungeheuren Erfolg bei der Bekämpfung der Pest«, fuhr er dann fort. »Meine Heilmittel retteten Leben; man ließ mich von überall in Frankreich holen. Eine Stadt hat mir sogar eine lebenslange Rente ausgesetzt für meine Dienste. Ich wurde hochmütig. Als die Pest die Stadt traf, in der ich mit meiner Frau und meinen Kindern lebte, war ich überzeugt, dass niemand an ihr sterben würde. Ich war schließlich der Heilkundige und Apothecarius, der keine Patienten verlor.«
In seinen Augen glänzten Tränen.
»Doch die Pest hat sie mir genommen – meine Frau und unsere beiden Kinder. Ich habe versucht, sie zu retten; ich habe alles versucht. Doch was ich bei anderen – bei wildfremden Menschen – mit Erfolg angewendet hatte, half bei denen, die ich liebte, nicht. Das ist jetzt fünf Jahre her. Danach fand ich mich nicht mehr zurecht. Es kümmerte mich nicht, was aus mir wurde. Ich nahm ein Wanderleben auf. Im vergangenen Jahr hatte ich viel Zeit zumNachdenken, und ich glaube, dass ich in meinem tiefsten Inneren sterben wollte. Ich wollte zu meiner Familie.«
Ich schluckte. »Aber die Inquisition hat Euch am Leben gelassen.«
Er nickte. »Ja. Anfangs befragten sie mich wegen einer Bemerkung, die ich vor Jahren einmal über eine Kirchenstatue gemacht hatte. Es sei eine ketzerische Bemerkung gewesen, behaupteten sie. Dann nahmen sie den Glauben meines Großvaters zum Anlass zu weiterer Prüfung.«
Wenn ich eine Prophezeiung von Nostradamus annehmen sollte, wollte ich alles wissen.
»Seid Ihr ein converso ?«, fragte ich.
Er schüttelte den Kopf. »Ich bin ein guter Katholik.«
»Warum ist man dann so überzeugt davon, dass Ihr in den alten jüdischen Glauben zurückgefallen seid?«
»Der Name meines Großvaters war Gassonet. Mein Vater änderte ihn ein Jahr vor meiner Geburt in Nostredame, den christlichsten Namen, den er sich denken konnte. Meine Eltern ließen mich taufen und im katholischen Glauben erziehen.« Er setzte sich gerader. Seine freundlich-entgegenkommende Art veränderte sich; er wurde nicht kühl gegen mich, doch er zog sich in sich zurück und blickte gleichzeitig über mich hinaus – Jahrhunderte über mich hinaus. Ich spürte einen kalten Schauder.
Er sagte: »Ich folge nicht den religiösen Gebräuchen der Juden, aber ich sage Euch, das Volk Israel wird über die Welt herrschen, auch wenn der Tag noch nicht bestimmt ist.«
Es stimmte – er war ein Seher.
Nostradamus stand auf, den Kopf zur Seite geneigt. Es schien, als hörte er etwas, obwohl ich kein Geräusch vernahm. Dann blickte er zu mir hinunter, Bedauern in den Zügen. »Jetzt kommt Monsieur Rolin, und ich habe Euch etwas zu sagen, Demoiselle Stafford.«
Gleich darauf hörte ich Schritte auf der Steintreppe.
Nostradamus hob die Hände. »Es tut mir wahrhaft leid«, sagte er.
Ich stand ebenfalls auf und trat ihm gegenüber. »Nein«, sagte
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