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Die Prophezeiung der Nonne: Roman (German Edition)

Die Prophezeiung der Nonne: Roman (German Edition)

Titel: Die Prophezeiung der Nonne: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Bilyeau
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erwartet Ihr von mir? Dass ich dem König Wein aus einem vergifteten Becher kredenze?«
    »Bei Eurer vornehmen Abstammung und Euren Verbindungen seid Ihr dafür die ideale Besetzung«, erklärte er vergnügt. »Ich bin gewiss, dass Gardiners Spitzel seinem Herrn und Meister nie berichtet hat. Er wollte vorher noch mit den anderen englischen Passagieren in Antwerpen reden, vor allem aber mit einem gewissen Charles Adams.«
    Er hielt inne, um seine letzten Worte wirken zu lassen, bevor er fortfuhr. »Wir werden jetzt Folgendes tun: Wir reisen so schnell wie möglich nach England, und sobald Ihr wieder zurückgekehrt und Joanna Stafford seid, sorgen wir dafür, dass Ihr eine Stellung bei Hofe bekommt. Wir müssen uns natürlich Gardiner vom Leib halten, doch Chapuys und ich haben das bereits besprochen, und er ist überzeugt, dass wir einen Weg finden werden, Euch in der Nähe des Königs unterzubringen.«
    »Ich bin keine Giftmischerin«, sagte ich.
    Er schlug sich verärgert auf den Schenkel. »Was glaubt Ihr eigentlich, worauf wir die ganze Zeit hingearbeitet haben? Seid Ihr wirklich so dumm, dass Ihr nicht gemerkt habt, dass es sich hier von Anfang an um einen geheimen Plan gehandelt hat, alle Voraussetzungen für einen perfekten Mord zu schaffen?«
    Ich hielt mir die Ohren zu. »Hört auf! Hört auf!«
    Jacquard bemühte sich sichtlich, seine Ungeduld zu beherrschen.»Ihr seid sehr müde«, sagte er angespannt. »Und Ihr seid schon wohlausgeruht eine schwierige Person. Ich zeige Euch jetzt das Zimmer, das man für Euch vorbereitet hat. Wir reden morgen weiter.«
    Er führte mich die Steintreppe hinauf zu einem Zimmer direkt über seinem. Edle Decken waren auf dem Bett ausgebreitet; Kleider zum Wechseln lagen bereit; Speise und Trank warteten; er hatte mir sogar eine Bibel ans Bett legen lassen.
    Ich aß nichts. Ich las nicht. Ich lag stundenlang wach.
    War ich wirklich so töricht gewesen, nicht zu erkennen, was von Anfang an geplant gewesen war – dass ich den König von England töten sollte? Ich hatte gehofft, und das war vielleicht tatsächlich völlig wirklichkeitsfremd gewesen, dass ich schließlich durch eine entscheidende, aber doch nicht gewaltsame Tat den Lauf der Geschichte verändern würde. Welch ein Irrtum, welch ein tragischer Irrtum! Dies also war die Prophezeiung, die mich seit meinem siebzehnten Lebensjahr verfolgte. Dass ich zur Mörderin werden würde.
    Was hatte ich in meinem Leben getan, um ein solches Schicksal zu verdienen? Warum sollte gerade ich ausersehen sein, einen schmutzigen und gemeinen Mord zu verüben? Eine Tat, die finsterste Verbrecher vom Schlag der teuflischen Borgias ausgebrütet hatten?
    Doch während die Stunden quälend langsam dahinschlichen, begann ich, die Dinge von einem anderen Gesichtspunkt aus zu betrachten. Der König hatte nicht nur meinen Onkel, den Herzog von Buckingham, ermordet, sondern auch meine Cousine Margaret, meine Freunde Henry Courtenay und Lord Montague und andere Adelige. Er hatte das Leben Edmund Sommervilles, meines Vaters und Maria Tudors zerstört. Er hatte Arthur Bulmer zur Waise gemacht. Eine lange Reihe unglücklicher Märtyrer, die mit Sir Thomas Morus begann und mit dem Abt von Glastonbury endete, war seiner barbarischen Grausamkeit zum Opfer gefallen. Die katholische Kirche war missachtet, die Klöster waren zerstört worden. Der Papst hatte Heinrich VIII. exkommuniziertund zu seiner Absetzung aufgerufen. Angesichts all dessen war es möglich, dass mir Vergebung – ja selbst die Absolution – gewährt würde, wenn ich den König vom Antlitz dieser Erde entfernte.
    Doch ich war keine Mörderin.
    Ich dachte an meine Eltern, an meine Freunde aus dem Kloster; wie nahe ich als Novizin der Schönheit und der Macht von Gottes Weisheit und Gnade gewesen war. Wie konnte ich da ausersehen sein, eine Tat schändlichster Gewalt zu vollbringen? Hatte ich überhaupt den Hass und die Wut in mir, die dazu nötig waren? Ich war eine schwierige Frau – darin hatte Jacquard recht –, und ich hatte Schwächen. Doch ich weigerte mich zu glauben, dass ich töten konnte.
    Ich erinnerte mich an Gertrude Courtenays verzweifelte Worte: »Ihr seid die, die uns retten kann.« Glaubte sie, Mord – von meiner Hand – würde sie und das Königreich England retten? Ich konnte es mir nicht vorstellen, so tief sie dem wahren Glauben auch verbunden war.
    Und schließlich dachte ich an Edmund. Ich hatte den Kampf gegen die Prophezeiung aufgegeben und mich ihr geöffnet.

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